Ein Tropfen auf den heißen Stein

Sie erreichen meist nur die, die es schon wissen: Entspannungs- und Ernährungskurse werden von den Kassen seit Wiedereinführung der Primärprävention bezuschusst. Wichtig wären aber auch strukturelle Veränderungen

VON PETRA SCHELLEN

Eigentlich wissen es alle: dass Prävention kein individuelles, sondern ein kollektives, letztlich ein gesellschaftliches Problem ist. Und dass es vor allem darum geht, großräumig gesunde Lebensumstände zu schaffen. Gesundheit am Arbeitsplatz ist eins der Themen, gesunde Ernährung etwa in der Schule ein anderes.

Trotzdem hat, wer Prävention betreiben will, wenig Möglichkeiten, in bestehende Strukturen einzugreifen. Mehr als das Anbieten von Anreizen steht jenen, die hier helfen wollen, oft nicht zur Verfügung. Deshalb beschränken sich die Krankenkassen – etwa bei Entspannungs-, Ernährungs- und Raucherentwöhnungsangeboten – auf die Ansprache von Individuen, ihrer eigenen Versicherten also.

Deren Interesse ist zwar nicht flächendeckend, aber es wächst: Jeder 29. Versicherte der Hamburger Techniker Krankenkasse nutzte 2007 solche Angebote; „am beliebtesten sind klassische Seminare, die von Rückenentspannung über Yoga bis zum Nordic Walking reichen“, sagt Sabine Petersen, Referentin für Gesundheitsmanagement. Um 25 Prozent steige jährlich die Nachfrage sowohl nach kasseneigenen Kursen als auch nach Seminaren, die private Anbieter, Volkshochschulen und Familienbildungsstätten anbieten. Letztere bezuschussen die Kassen, sofern sie den von den Kassen festgelegten Qualitätskriterien entsprechen, zu 80 Prozent; bezahlt werden maximal zwei Kurse pro Jahr mit bis zu 75 Euro.

Wenn man bedenkt, dass Qigong, Yoga und andere Methoden eher langfristig wirken, ist das recht bescheiden. Christian Kranich, Leiter der Abteilung für Gesundheit und Patientenschutz an der Hamburger Verbraucherzentrale, findet das allerdings in Ordnung. „Schließlich soll die Kasse nicht meine gesamte Freizeit finanzieren“. 2,78 Euro pro Jahr und Versichertem sollten die Krankenkassen – so der gesetzliche Richtwert – für Primärprävention ausgeben; es ist eine Kann-Bestimmung, die empfohlene Summe wird seit der Wiedereinführung der Primärprävention im Jahr 2000 jährlich neu festgelegt.

Dass die so subventionierten Angebote meist von Menschen ab 40 und zu rund 70 Prozent von Frauen genutzt werden, überrascht wenig; auch nicht, dass Männer auch über Familienangebote nur schwer zu erreichen sind. Problematischer findet Christian Kranich allerdings, „dass jeder, der Prävention betreibt, fast nur diejenigen erreicht, die ohnehin gesundheitsbewusst leben. Den Mittelstand also. Die Bevölkerungsschichten, die Prävention am dringendsten brauchen, erreicht man schwer, weil sie für intellektuelle Ansprache nicht so aufgeschlossen sind. Außerdem kompensiert deren Lebensstil oft gesellschaftliche Benachteiligungen und ist deshalb viel schwerer zu ändern“, sagt er.

Was hülfe, wäre also flächendeckende strukturelle Prävention – über Schulen und Unternehmen zum Beispiel. Etliche Krankenkassen versuchen das über den so genannten Setting-Ansatz. „Wir unterstützen Unternehmen dabei, gesundheitsfördernde Verhältnisse zu schaffen“, sagt Sabine Petersen. „Wir ermutigen sie, interne Strukturen zu verändern, interne Gesundheitsberichte zu erstellen und, konkret, zum Beispiel gesundes Kantinenessen anzubieten.“

Natürlich ist auch dies ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber die Zahl der Unternehmen, die nach solchen Programmen fragten, habe in den letzten Jahren zugenommen, sagt Petersen. „Noch besser wäre es natürlich, wenn man flächendeckend Schulen animieren könnte, keine Süßigkeiten, sondern gesunde Kost zu verkaufen – und, noch weiter gedacht, dafür zu sorgen, dass gesamtgesellschaftlich für die richtigen Dinge geworben wird“, sagt Christian Kranich.

Aber bis dahin ist es noch weit, und Jugendliche zu motivieren ist schwer. Einige Kassen haben sich deshalb aufs Internet besonnen und bieten dort individuelle Coachingprogramme an, die von 20- bis 40-Jährigen genutzt würden. „Man gibt seine persönlichen Bedürfnisse ein und bekommt ein maßgeschneidertes Programm zur Antwort“, sagt Petersen.

Der Erfolg von Präventionsmaßnahmen ist schwer messbar. Möglich wäre es natürlich: „Krankenkassen könnten theoretisch verfolgen, ob diejenigen, die an einer Koronar-Sportgruppe teilnahmen, seltener einen Herzinfarkt bekamen als die, die das nicht taten“, sagt Christian Kranich. „Das wäre aber sehr aufwendig, denn die Gruppen müssen ja vergleichbar sein.“

Skeptisch beurteilt der Verbraucherschützer indes die Idee, Menschen durch Beitragssenkungen anstelle von Bonus-Zahlungen zur Prävention zu bewegen. „Dass ich durch meine Kursteilnahme tatsächlich gesünder bleibe und für die Kasse weniger Kosten verursache, ist ja nur eine Hoffnung. Sicher ist es nicht. Und also unsolidarisch: Zahlt einer weniger, müssen die anderen proportional mehr zahlen.“

Das sieht Sabine Petersen genauso. „Der Bonus ist ja eine indirekte Beitragssenkung“, sagt sie. Und ein Wechselkriterium sei Primärprävention nicht, sagt Christian Kranich. Und letztlich sei Prävention ja auch keine originäre Aufgabe der Krankenkassen.