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Archiv-Artikel

„besseren Vollzug schaffen“

Als Justizexperte der GAL war Till Steffen einer der schärfsten Kritiker von Roger Kusch. Nun ist er der jüngste Senator Hamburgs und will die Justizpolitik seiner Vorgänger entideologisieren

INTERVIEW MARCO CARINI und FRIEDERIKE GRÄFF

Herr Steffen, sind Sie schon ganz angekommen im Senat?

Till Steffen: Ich musste mich daran gewöhnen, dass sich die Mitarbeiter erst einmal zurückhalten, mich in der neuen Rolle direkt anzusprechen. Umgekehrt war es für einige von ihnen das erste Mal, dass sie direkt von der Behördenleitung angesprochen wurden.

Das sind zum Teil Gefolgsleute Ihrer Vorgänger Roger Kusch und Carsten Lüdemann, die für einen völlig anderen justizpolitischen Kurs stehen. Stoßen Sie da auf Widerstand?

Das kann ich nicht erkennen. Gerade weil sich einiges verändern soll, suche ich die Diskussion mit den altgedienten Mitarbeitern. Das ist für mich eine wichtige Fehlerkontrolle. Ich nehme wahr, dass es hier viele Mitarbeiter gibt, die es attraktiv finden, wieder zu überlegen, wie wir Gefangene besser auf die Freiheit vorbereiten. Da haben Mitarbeiter Ideen, mit denen sie in der jüngeren Vergangenheit kein Gehör fanden. Das steht für mich nicht im Widerspruch zu der Frage, die zuletzt extrem im Vordergrund stand: Wie schützt man die Bevölkerung vor Straftätern?

Sie haben es aber in der Behörde und den Anstalten mit Mitarbeitern zu tun, die die Rücknahme des Reformansatzes mitgetragen haben. Wie viel Resonanz finden Sie dort mit der Wiederaufnahme?

Ein Beispiel: Das Moritz-Liepmann-Haus, eine Übergangsanstalt, ist von Herrn Kusch aus rein ideologischen Gründen geschlossen worden. Das musste von den Behördenmitarbeitern und den Anstaltsleitungen akzeptiert werden – teils gegen ihre Überzeugungen. Dass wir diesen Schritt rückgängig machen wollen, löst keinen fachlichen Widerstand aus. Unstrittig ist auch, dass wir die politisch motivierten Überkapazitäten im Strafvollzug abbauen müssen.

Es gibt aber kritische Stimmen: Der Chef der Polizeigewerkschaft bezweifelte, dass es eine gute Idee sei, vermehrt auf offenen Vollzug zu setzen.

Für die Polizeibeamten ist es extrem frustrierend, es immer wieder mit den selben Personen zu tun zu bekommen, die sie mit hohem persönlichen Risiko festgenommen haben. Aber gerade deshalb haben sie kein Interesse daran, dass die Leute ohne eine vernünftige Entlassungsvorbereitung vor die Tür gestellt werden. Um das Rückfallrisiko zu verringern, muss man sich vor allem um Eingliederung in Arbeit und Vermittlung von Wohnungen kümmern.

Wie lässt sich eine bessere Entlassungsvorbereitung mit der geplanten Verringerung des Vollzugspersonals vereinbaren?

Wir können wahrscheinlich beides machen: Die Betreuung verbessern und Überkapazitäten abbauen. Wir rechnen damit, die Schließung der JVA Glasmoor und den Umbau von Billwerder in etwa zwei Jahren hinzubekommen. Momentan bewachen die Bediensteten häufig halbleere Flure. Der Abbau führt zur Konzentration auf die eigentlichen Aufgaben.

Wie viel mehr offenen Strafvollzug braucht Hamburg?

Ich bin mir noch nicht sicher, ob man sagen kann: Wir brauchen mehr offenen Vollzug. Was wir schaffen werden, ist ein besserer offener Vollzug. Das kann im Ergebnis auch bedeuten, dass er stärker in Anspruch genommen wird. Zur Zeit scheuen einige Gefangene den Übergang vom geschlossenen Vollzug in Billwerder zum offenen in Glasmoor wegen der Saalbelegung dort. Ich werde aber nicht einfach anweisen: Mehr Gefangene in den offenen Vollzug.

Was wird im neuen Vollzugsgesetz als Regelvollzug stehen: der offene oder der geschlossene?

Ich glaube, dass die Debatte darum unsinnig ist. Es ist vollkommen klar, dass es Gefangene gibt, die in den geschlossenen Vollzug müssen und das für geraume Zeit. Und es ist auch klar, dass es Gefangene gibt, bei denen man nach relativ kurzer Zeit feststellen wird, dass sie sich für den offenen Vollzug eignen und wenige, die man von vorneherein so einschätzt. Wichtig ist doch, dass Gefangene, die sich für den offenen Vollzug eignen, tatsächlich dorthin kommen.

Was werden die Schwerpunkte des neuen Strafvollzugsgesetzes sein?

Wir haben dazu eine relativ klare Vereinbarung in der Koalitionsvereinbarung: Wir werden uns am Gesetzesstand in Schleswig-Holstein orientieren, was auch heißt, dass wir uns in den Mainstream bewegen. Das bedeutet, dass wir stark einschränkende Normen für die Vollzugsbeamten wegnehmen und ihnen damit mehr Verantwortung geben.

Zum Beispiel ... ?

Die Frage, wann eine Lockerung gewährt wird. Dafür gibt es im derzeitigen Gesetz einen ganz engen Prüfkatalog, der seinerzeit von Vollzugsexperten als überflüssig und als Ausdruck von Misstrauen gegenüber den Bediensteten kritisiert wurde. Ob es eine Lockerung geben soll, müssen letztendlich sie einschätzen – und schließlich auch vertreten, wenn es schiefgehen sollte. Statistisch gesehen funktionieren die Lockerungen jedoch in über 99 Prozent der Fälle.

Das klingt wie eine Entideologisierung der Justizpolitik.

Ich bin überzeugt, dass die Justizpolitik in Hamburg stark ideologisch geprägt war, und zwar in deutlichem Kontrast zu der Politik anderer Unions-Justizminister. Und ich bin zugleich davon überzeugt, dass eine Ideologisierung in die andere Richtung gefährlich wäre, weil man darüber den klaren Blick für die Abwägung der Risiken verliert: Das eine ist die Entlassung ohne hinreichende Vorbereitung auf die Freiheit; das andere ist, Gefangene freizulassen, solange sie gefährlich sind. Deswegen habe ich durchaus ein offenes Ohr für diejenigen, die auf Sicherheitsprobleme hinweisen.

Unter Justizsenator Kusch sind gegen den Widerstand der GAL die Spritzenautomaten in den Vollzugsanstalten abgebaut worden. Sie haben erklärt, dies dabei zu belassen. Warum?

Ich glaube, dass wir eine ganz neue Situation in den Gefängnissen haben. Die Spritzenautomaten hingen dort, als es für die Gefangenen möglich war, einmal quer durchs Hafthaus zu gehen und sich so relativ anonym eine Spritze zu besorgen. Haus zwei in der JVA Fuhlsbüttel ist aber komplett umgebaut worden, mittlerweile haben wir abgeschlossene Stationen. Klar ist jedoch, dass wir die Situation von drogenabhängigen Gefangenen verbessern wollen.

Wo werden die Unterschiede zwischen Jugend- und Erwachsenenvollzug liegen?

Wir sind noch dabei, das auszuarbeiten. Auf jeden Fall werden wir den Unterschied zwischen den Bereichen deutlich machen, indem wir die Gesetze trennen. Auch da gilt, dass wir uns am bundesgesetzlichen Mainstream orientieren werden.

Sie wollen sich für die Bürgerrechte stark machen, Innensenator Ahlhaus möchte dagegen die online-Durchsuchung von Computern ins Polizeigesetz schreiben. Galoppiert die schwarz-grüne Koalition hier in zwei Richtungen zugleich?

Von der Absicht, die online-Durchsuchung in Hamburger Gesetze zu schreiben, habe ich in einigen Sommer-Interviews von Herrn Ahlhaus gelesen. Es ist nicht verboten, dass er darüber redet, wir leben in einem freien Land. Abgesehen davon: Ein Gesetzgebungsverfahren hat mehrere Schritte. Der erste passiert im Senat und und dem geht die Einigung unter den Koalitionspartnern voraus. Noch ist dieser Schritt nicht erfolgt. Und die Grünen haben eine klare Haltung, die sie mit vielen Menschen teilen: Wir brauchen keine online-Durchsuchung im Hamburger Polizeirecht.