Hannover macht in Mode

Die Museen der Stadt wollen mit einem Ausstellungsreigen zum Thema Mode geballte Kraft demonstrieren. Im vergangenen Jahr hatten sie es mit junger deutscher Kunst versucht. Auch die Architektenkammer und das Museum für Energiegeschichte(n) spielen mit

VON BETTINA MARIA BROSOWSKY

Schon verwegen, wenn sich Hannover als Stadt der Mode präsentiert. Berlin: große Geschichte in der Konfektion, im Design zur Zeit stark angesagt. Düsseldorf und München: sowieso. Hamburg: eventuell. Hat also die spröde niedersächsische Landeshauptstadt, außer einem weltweit agierenden Familienunternehmen für Handtaschen und Reiseutensilien „mit Premiumanspruch“ doch ungeahnte Modekompetenz? Nein, und der Eindruck soll auch gar nicht erst erweckt werden mit der konzertierten Aktion „Hannover goes Fashion“ (modisch kurz: HgF), an der sich zehn Museen und Ausstellungshäuser beteiligen.

Die Idee entsprang im Herbst 2005 der Überlegung, die Aktivitäten einzelner hannoverscher Institutionen zu bündeln, um in Zeiten verschärfter Städtekonkurrenz kraft eines quotenträchtigen Kulturevents mithalten zu können. „Made in Germany, junge Kunst aus Deutschland“ war im vergangenen Sommer der erste und erfolgreiche Versuch einer Kooperation dreier Häuser. Als größte gemeinsame Schnittmenge verständigte man sich jetzt auf das Thema Mode. Dazu haben das Landes-, das August Kestner- und das historische Museum Exponate im eigenen Fundus oder, wie das Theatermuseum, Zugriff auf einschlägige Sammlungen.

Ausstellungshäuser wie der Kunstverein oder auch das Sprengel-Museum kuratieren ohnehin gerne in den Grenzbereichen der bildenden Kunst. Und die Kestner-Gesellschaft hat sich mit der ersten institutionellen Einzelausstellung von Helmut Lang das wohl deutungsschwerste Unterfangen von HgF nach Hannover geholt. Als geistiger Vater des coolen „minimal chic“ war Lang in den 1990er Jahren stilprägend. Seit Aufgabe seines Labels erforscht er unter ‚hl-art‘ die menschliche Erscheinung als ständige Umordnung des Gleichgewichts. Das Wilhelm-Busch-Museum für Karikatur und kritische Grafik, das neue und deutschlandweit einzigartige Museum für Energiegeschichte(n) und die Architektenkammer sollen mit ihren Beiträgen interdisziplinäre Würze geben.

Nun ist das Thema Mode glücklich gewählt, hat es doch zentrale kulturelle Relevanz. Ausdifferenzierte Kulturgesellschaften lechzen geradezu nach Abgrenzungsstrategien wie sie die Mode, in beispielhaftem Charakter, zur Verfügung stellt. Vollzog sich die Unterscheidbarkeit sozialer Klassen früher hermetisch und normativ, bedürfen heute Schichten, Szenen, Milieus und allerlei „Kulturen“ permanent neuer Differenzierungsmerkmale und Ausdrucksformen: Soziales Sein heißt, wahrgenommen zu werden durch andere, auch in provokanter und aggressiv selektierender Manier.

Eine stattliche Industrie bedient längst derartiges Verlangen. Mit Methoden der Mode, wertfrei als Kunst des ständigen Wandels interpretiert, werden ununterbrochen immer wieder neue kulturelle Codes, Images und Lifestyles kreiert, auratisch aufgeladen und passgenau auf die jeweiligen Zielgruppen zugeschnitten. Eine konstante, kulturell motivierte Konsumnachfrage wird so aufrechterhalten.

Bazon Brock benannte schon 1986 Mode als vorherrschenden Steuerungsmechanismus der Gesamtgesellschaft. Denn nicht nur unsere Kleidung, auch Autos, Einrichtungsgegenstände, selbst dröge Produkte wie Kühlschränke und Haushaltsgeräte lassen sich nicht mehr ohne eindeutige Unterscheidungsmerkmale und kulturell verortbare Gestaltung auf den Markt bringen.

Und sogar langlebige Objekte wie Architekturen werden für ein Markenmanagement, kurz Branding, vereinnahmt. Flagshipstores und Markenwelten fungieren als global decodierbare Inszenierungen, um ein Produkt mit zusätzlichen immateriellen Werten wir Emotion, Mythos und Prestige zu versehen. Selbstverständlich betreibt der eingangs erwähnte Taschenhersteller aus Hannover-Isernhagen Exklusiv-Läden in Tokio, Doha und Peking.

Auch die Icons internationaler Stararchitekten, nachgefragt im Citymarketing, widerspiegeln die wechselnden Moden. Hannover hat bereits seinen verdrehten Gehry-Tower und bekommt demnächst, für konservativere Gemüter, den derzeit wohl letzten Schrei: eine Schlossattrappe.

Wundert’s da, wenn selbst eine des Modischen unverdächtige Disziplin wie die Denkmalpflege ihrem gebetsmühlenartigen Postulat „Konservieren statt Rekonstruieren“ abschwört und das Wiederherstellen untergegangener Bauzeugnisse als Methode legitimiert? Aber was ist Mode, wenn sie zu Steinkleidern gerinnt? Fashion oder Baukultur? Und: Reflektiert eine hehre Berufsgruppe wie die Architektenschaft diese nicht nur kommerzielle Instrumentalisierung? Von dem Ausstellungspart der Architektenkammer, eben wegen seiner disziplinären Randlage, hätte man sich ein Anreißen dieser Fragen erhofft. Leider bleibt er mit ‚Mode, Linie, Architektur‘ belanglos und bietet Gebäude und Innenräume lediglich dar als konvenable Location der Werbe- und Modefotografie.

Die textile Mode konstituiert sich durch das Flüchtige und Unvorhersehbare, die zyklische Irritation unserer Wahrnehmung durch Neuartiges und Ungewohntes. Gerade das Exaltierte und mitunter Karikaturhafte bedeuten ein ästhetisches Aktivierungspotenzial, die schöne Regelmäßigkeit seines Aufscheinens sieht Bazon Brock gar als Teil einer ‚Ereignisstruktur‘, die es vermag, Konflikte zwischen Individuen und Gruppen über kulturelle Differenzierungsangebote friedvoll zu vermitteln.

Modestile und Trends lassen sich nur retrospektiv feststellen. Dann sind ihre materiellen Zeugnisse in der Regel schon lange zerschlissen, durch Altkleidersammlungen in Katastrophengebiete entsorgt oder bestenfalls als „Vintage-Mode“ über erlesene Einzelstücke vorhanden. Wir alle sind geschichtsbildende Akteure, insofern, dass wir heute mitarbeiten an dem Bild, das aus der jetzigen Gegenwart in der Zukunft als Vergangenheit erkannt werden wird.