Tragischer Triumph

Nikolai Walujew wird mit einem unumstritten umstrittenen Punktsieg gegen John Ruiz Box-Weltmeister und muss sich von Don King loben lassen

„Nikolai ist der beste Boxer, den es gibt. Amerika wartet auf Walujew, Amerika will Sensationen sehen“

AUS BERLIN MARTIN KRAUSS

In der Boxersprache nennt man das „unumstrittene Entscheidung“ oder „einstimmiger Punktsieg“, womit Nikolai Walujew am Samstagabend in Berlin wieder Schwergewichtsweltmeister der WBA wurde. Doch der Gegner des 2,13 Meter großen Russen, der Amerikaner John Ruiz, will sich dem Wort „unumstritten“ nicht anschließen. „Ich hoffe, dass die WBA sich um das kümmert, was hier passiert ist“, schimpfte Ruiz, das sei doch kein Boxen mehr.

Dabei stellte sich schon während des Kampfs in der ausverkauften Max-Schmeling-Halle die Frage, ob das, was der Lange und der Langweiler, Walujew und Ruiz, den Leuten boten, wirklich Boxen ist. Der 36-jährige Ruiz ging immer wieder mit den Kopf zuerst gegen die Brust des 25 Zentimeter längeren Russen. Und der 35-jährige Walujew erwehrte sich nur noch, indem er Ruiz Kopf einfach nach unten drückte. So hatte mal der eine Boxer leichte Vorteile bei den Punktrichtern, mal der andere, aber dass einer der beiden Herren ernsthaft den Anspruch erhob, künftig als bester Boxer der Welt zu gelten, war wirklich nicht zu erkennen.

„Nikolai ist der beste Boxer, den es zurzeit auf der Welt gibt“, krächzte ein gut gelaunter, aber nicht gerade überzeugend wirkender Don King hernach. Der legendäre US-Promoter, der den Berliner Kampf mitveranstaltete, hat Pläne, den russischen Riesen in den USA groß rauszubringen. „Amerika wartet auf Walujew“, rief er, dabei eine namerikanische, deutsche, russische und eine Berliner Fahne schwenkend, „Amerika will Sensationen sehen.“ Dass jedoch das US-Publikum auf Kämpfe wie den von Walujew gegen Ruiz besonders anspringt, wird nicht mal der mittlerweile 77-jährige Don King wirklich hoffen.

Schwung in die Berliner Keilerei kam jedenfalls erst nach dem Schlussgong. Noch vor der Urteilsverkündung wurde der Zettel, auf dem das Kampfergebnis steht, an einen ARD-Mitarbeiter gereicht, der die Zahlen für die Statistik des Fernsehens in den Computer eintippen sollte. Ruiz’ Sekundant sah das, sprang mit einer Körperbeherrschung, die man sich von den Boxern gewünscht hätte, aus dem Ring und entriss dem verdutzten Fernsehstatistiker den Zettel, um ihn direkt an Ringsprecher Michael Buffer weiterzureichen.

„Dass hier die Scorecards einfach ins Publikum gereicht werden“, war Ruiz’ erstes Indiz, dass man ihn betrogen hatte. Was Buffer dann vortrug, wurde das zweite: Zwei Punktrichter hätten für Walujew, einer für Ruiz gewertet, hieß es zunächst. Doch nach der Urteilsverkündung meldete sich einer, Takeshi Shimakawa aus Japan, auch bei ihm habe Walujew vorn gelegen – ein Fehler bei der Auswertung sei wohl passiert.

Der Delegierte des Weltverbands WBA überprüfte alles und gab dann das korrigierte Ergebnis bekannt: „einstimmiger Punktsieg für Walujew“. Tony Cardinale, der Manager von John Ruiz, glaubte der Verwechslung nicht. „Ich weiß nicht, was da in der letzten Runde mit dem japanischen Punktrichter passiert ist“, sagte er später, doch die Richtigkeit des Kampfprotokolls wurde auch von ihm mit Unterschrift bestätigt.

Cardinale will nun die Videobänder auswerten und dann entscheiden, was er tun wird. „Außerdem gab es ja noch den Niederschlag in der zweiten Runde“, trug Ruiz ein weiteres Indiz vor, warum er der Betrogene sei. Da war nämlich Nikolai Walujew tatsächlich zu Boden gegangen. Doch der Russe wie auch der Ringrichter sahen es als bloßes Ausrutschen, das folgenlos blieb. Vor zweieinhalb Jahren, im Dezember 2005, hatte John Ruiz seinen WBA-Titel gegen Walujew verloren – ebenfalls in Berlin. Und auch damals schimpfte er über Lug und Betrug. Nun habe er die Schnauze voll, verkündete er: „Zum Vergnügen komme ich wieder nach Deutschland, aber nicht beruflich. Es ist traurig, was hier passiert ist.“

Der Sieger konnte sich bei solchen Vorwürfen nicht als großer Triumphator präsentieren. Warum wohl das Berliner Publikum gepfiffen habe, wurde der boxerisch wenig überzeugende Walujew gefragt. Und sagte, das kenne er nicht anders: „Die Leute haben immer Mitleid mit dem kleineren Boxer, weil der schwächer aussieht. Das ist ein Phänomen, das mich in meiner ganzen Karriere verfolgt.“

Dass man Pfiffe für Walujew und Beifall für Ruiz auch ganz anders deuten kann, führte Don King vor: „Die Leute haben nur gepfiffen, weil sie John Ruiz Respekt für seine Leistung gezollt haben“, gab King mit breiten Grinsen von sich: „Aber die Menge liebt Walujew.“ Also auch wenn es nach Don King geht, war der Punktsieg von Nikolai Walujew eine unumstrittene Entscheidung.