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Archiv-Artikel

Google browst heran

KAMPF DER BROWSER

Die Vorherrschaft im World Wide Web wurde schon immer über die dafür notwendigen Einwahl- und Browserprogramme ausgetragen. Noch Ende der Neunzigerjahre hieß Microsofts großer Gegner Netscape – und dessen Software Navigator hatte im frühen Web einen erdrückenden Marktanteil, weil sie zu den ersten wirklich einfach zu bedienenden Programmen fürs Netz gehörte. Microsoft reagierte, in dem eine eigene Software direkt in das Betriebssystem Windows integriert wurde – der Internet Explorer. Damit gelang es, bis Ende 1998 die Vorherrschaft des Navigators zu dezimieren. Der Internet-Explorer-Aufstieg erreichte 2002 einem Marktanteil von über 96 Prozent – trotz Kartellverfahren, die den Nutzer mehr Wahlmöglichkeiten geben sollten. Seither hat der kostenlose Browser Firefox, der unter anderem auf freigegebenem Code des Netscape Navigators basiert, Boden gutgemacht – die Statistik steht aktuell bei rund 20 Prozent. Browser wie Opera, eine norwegische Software, oder Apples Safari, Bestandteil des Mac-Betriebssystems, erreichen einstellige Marktanteile.

VON BEN SCHWAN

Der Browser ist das Fenster des Nutzers ins Netz. Programme wie Microsofts Internet Explorer oder die freie Konkurrenz Firefox der Stiftung Mozilla dienen uns Tag für Tag dazu, online Informationen abzurufen, Bankgeschäfte zu erledigen oder mittels Web, Mail und Chat miteinander zu kommunizieren.

Die Anwendungen, die direkt im Browser laufen, werden dabei immer wichtiger und mächtiger: Längst gibt es Textverarbeitungsprogramme, die Büropaketen wie Office Konkurrenz machen, Bildbearbeitungssoftware zum Editieren von Fotos direkt im Netz oder Werkzeuge zum Videoschnitt, die man mit ein paar Mausklicks online abrufen kann. Da also immer mehr Tätigkeiten am Rechner direkt im Internet passieren, wird so auch der Browser immer wichtiger. Er wird zum eigentlichen Betriebssystem des Rechners.

Das sieht man auch beim Internetriesen Google so, der jetzt mit einen eigenen Browser Microsoft angreift. Google kontrolliert mit mehr als 50 Prozent Marktanteil am Suchmaschinengeschäft weltweit den Onlinewerbemarkt, ist mit Angeboten wie dem Postdienst Google Mail oder dem Videoportal YouTube tief im Internetleben fast jedes Nutzers verankert und gehört mit einer Marktkapitalisierung von fast 180 Milliarden Dollar zu den wertvollsten Firmen der Erde. Allein: Bislang lieferte Google nur das, was im Browser ablief, aber nicht das, was um ihn herum passierte.

Ein radikales Konzept

Die Software selbst, mit der die Nutzer ins Netz blicken, beherrscht zu 70 Prozent Microsoft mit seinem Internet Explorer (IE) – und das seit einem guten Jahrzehnt, als der Softwareriese im so genannten „Browserkrieg“ (siehe Kasten) den Konkurrenten Netscape Navigator in die Flucht schlug. Selbst ein US-Kartellverfahren änderte daran wenig: Für die meisten Nutzer bedeutet der Gang ins Web heute immer noch, Microsofts IE zu starten. Nicht, dass es heute an Konkurrenz mangeln würde. So steigen immer mehr Menschen auf Mozillas Firefox um, weil dieser als sicherer und im Funktionsumfang besser gilt. Bis zu 20 Prozent Marktanteil erlangte die Software dadurch in den letzten Jahren. Microsoft konterte in der vergangenen Woche mit einer neuen Version des IE, die allerlei Fehler ausbügeln soll und neue Funktionen bringt.

Bislang hielt sich Google aus diesem Browser-Scharmützel heraus. Im Zweifelsfall stand man zwar stets auf der Seite der Mozilla-Stiftung, half ihr unter anderem mit Programmierern aus. Doch ein direktes Gegenprodukt zum Internet Explorer entwickelte der Konzern nie. Bis heute. Jetzt rückt Google mit der Entwicklung eines eigenen Browsers auf den Markt. Die Software nennt sich „Chrome“ – und sie ist ein radikales Konzept. Google wirft viel technischen Ballast weg, macht die Software schneller und sicherer, will alle guten Dinge der Browser-Welt bewahren, die schlechten aber fallen lassen. Gleichzeitig ist es jedoch ein echter Griff nach dem ganzen Netz: In einer Welt, in der Google Chrome die PCs dominiert, dominiert Google das Interneterlebnis von A bis Z. Der Browser ist somit der letzte Baustein einer großangelegten Strategie, die das Netz verändern könnte.

Natürlich wird sich auch mit Erscheinen des Google-Browsers, der am Dienstag in einer ersten Vorabversion für Windows verfügbar gemacht werden sollte, an der Entscheidungsfreiheit der Nutzer nichts ändern. Auch dann können sie noch den in Windows eingebauten Internet Explorer verwenden oder weiterhin die freie Lösung Firefox nutzen. Doch Google Chrome ist, soweit bislang bekannt, so clever gemacht, dass der Browser das Verlangen vieler Nutzer wecken dürfte. Hinzu kommt, dass Google als Suchmaschine und Web-Destination Nummer eins auf diesem Planeten eine enorme Marktmacht hat, eine neue Software an die Frau, den Mann zu bringen. Und das wird mit Chrome versucht werden, sind sich Marktbeobachter sicher.

Der neue Browser soll bedienerfreundlicher sein. Mit Chrome wird man künftig nicht mehr lange nach bereits besuchten Internetadressen suchen müssen, die Omnibar als Adressleiste macht das Webarchiv im Volltext zugänglich. Die einzelnen Browser-Reiter, Tabs genannt, stehen im Vordergrund: Sie sind einzeln steuerbar, nervige Pop-ups verschwinden in einer einzigen Zeile. Jedes Tab ist seine eigene „Instanz“: Ruft man eine Webseite auf, erhält diese einen eigenen Bereich im Speicher des Rechners zugeordnet, der komplett abgeschottet ist. Sollte ein einzelnes Fenster einmal „abstürzen“, was oft mehrmals täglich passiert, verabschiedet sich nicht die gesamte Software – sondern nur das abgestürzte Fenster. Auch sicherheitstechnisch hat das Vorteile: Schadprogramme, die man sich mit dem Besuch einer einzigen Internetseite einfangen kann, werden so isoliert und gegenüber dem Rechner stärker abgeschottet. Auch andere Sorten von Angriffen dürfte Chrome besser abwehren: Die Software lädt sich regelmäßig eine Liste mit den gefährlichsten Seiten des Netzes herunter und warnt den Nutzer sofort.

Für Chrome hat Google außerdem die interne Technik des Browsers überarbeitet. JavaScript, eine Programmiersprache, in der immer mehr Web-Anwendungen verfasst sind, soll deutlich schneller laufen. Das bedeutet, dass die Web-Mail-Software beispielsweise nicht mehr den Rest des Programms ausbremsen kann, wenn sie gerade dabei ist, Spammails auszusortieren. Der Nutzer kann sich außerdem genau ansehen, was jedes einzelne Browser-Fenster tut: Ähnlich, wie man sich bei Windows anzeigen lassen kann, welches Programm den Rechner gerade besonders belastet, erlaubt dies Chrome auch mit allen aufgerufen Webseiten. Ist eine davon zu langsam, kann man sie einfach „abschießen“, wofür zwei Mausklicks reichen. Auch hier wird der Rest von Chrome nicht tangiert. Vor allem für Büroanwendungen ist Chrome optimiert. Sie sollen flotter laufen. Quasi ein Betriebssystem im Netz und ein weiterer Hieb gegen Microsoft.

Zielgenaue Werbung

Zu den von Google beworbenen Funktionen gehört auch ein so genannter Inkognitomodus: Mit diesem soll man sich im Web bewegen können, ohne Spuren zu hinterlassen. Besuchte Seiten tauchen dann nicht im Browser-Archiv auf, auch dabei aus dem Netz heruntergeladene Datenkrümel, die so genannten Cookies, die eine Überwachung erlauben könnten, werden gelöscht. Neu ist das allerdings nicht: Sowohl Microsofts IE als auch andere Browser bieten die Funktion, die scherzhaft auch „Porno-Modus“ genannt wird, seit längerem.

Ob dieses Inkognito-Feature bedeutet, dass auch Google die Aktivitäten der Chrome-Nutzer nicht beobachtet, ist bislang unklar. Das Hauptargument für einen eigenen Browser des Suchmaschinenkonzerns liegt neben dem strategischen Vorteil, die gesamte Netzerfahrung des Nutzers von vorne bis hinten zu kontrollieren, vor allem in der Möglichkeit, dem User zielgenauere Werbung zu präsentieren, die Google dann zu hohen Preisen vermarkten kann. Wer den Browser kontrolliert, kontrolliert auch, mit welcher Suchmaschine gesucht wird und welche Werbung dann eingeblendet wird. Microsoft lenkt Millionen Nutzer mit seinem IE auf eigene Seiten und verdient damit gutes Geld. Das kann Google nun auch für sich nutzen. Der User ist damit stets in einer Google-Welt präsent, die für Vermarkter keine Streuverluste kennt. Dazu passt auch, dass Google mit Doubleclick einen der wichtigsten Werbedienstleister übernommen hat, der fast im ganzen Web präsent ist. Google vermarktet darüber nicht nur eigene Angebote, sondern auch fremde.

Noch liegen die Datenschutzbestimmungen von Chrome nicht vor – Privatsphärenspezialisten stehen schon bereit, sie auf negative Entwicklungen für den Nutzer zu durchforsten. Bislang zeichnet sich Google jedenfalls nicht durch Datensparsamkeit aus: Jede Suchanfrage wird beispielsweise mit voller Internetadresse des Anfragenden stets 18 Monate lang gespeichert, wofür das Unternehmen bereits allerlei Kritik einstecken musste. Getan hat sich nichts.

Google dürfte gegenüber Datenschützern bei Chrome argumentieren, dass der Browser selbst in Form von Open-Source-Software vorliegt. Das bedeutet, dass jeder zumindest theoretisch in den Quellcode des Programms hineinschauen kann, um zu sehen, was der Internet-Konzern konkret mit den Nutzerdaten anstellt. In der Tat basiert Chrome selbst schon auf freier Software: Google bedient sich an Vorarbeiten, die das Mozilla-Projekt bei Firefox und der Computerkonzern Apple bei seinem Browser Safari geleistet hat. Nach außen gibt sich Google also offen. Das ändert nichts daran, das mit Chrome die Macht des Internetriesen über das Netz weiter wachsen dürfte, wenn erst einmal ein ordentlicher Marktanteil erzielt ist.