: RAF im Schlussverkauf
Der Ex-Spiegel-Chef Stefan Aust präsentiert eine dritte, überarbeitete Ausgabe seines Buches „Der Baader-Meinhof-Komplex“. Zeitgleich dazu kommt eine Verfilmung des Buches in die Kinos, ein Buch zum Film in die Buchläden. Die RAF-Vermarktung könnte damit endlich an einen Endpunkt gelangt sein
Von MAXIMILIAN PROBST
Napoleon, klein von Wuchs, groß als Feldherr. Als er nach dem Russlandfeldzug stürzte, schickte man ihn in die Verbannung: nach Elba. Weg war er, dachte man. Aber nichts da. Er scharrte ein paar alte Mannen um sich, nahm Paris im Triumph und noch einmal herrschte der aus der Revolution geborene Schrecken, 100 Tage lang.
Nun wiederholen sich Tragödien, wie Marx bemerkte, bisweilen als Farce. Hamburg: Stefan Aust, der größte Chefredakteur aller Zeiten, wird von den Spiegel-Mitarbeitern an die Luft gesetzt. Wäre er nicht schon dort gewesen, man hätte ihn nach Bali verbannt. Jetzt aber ist Aust zurück: Im Triumph nahm er das Verlagshaus von Hoffmann und Campe, die versammelten Journalisten lagen ihm zu Füßen, die Kamerateams suchten nach Sorgenfalten in seinem Gesicht und fanden keine. Vorgestellt wurde sein Buch „Der Baader-Meinhof-Komplex“ in einer dritten, überarbeiteten Ausgabe.
Mit Aust zurückgekehrt ist der Spuk der RAF. Und auch hier drängt alles aufs letzte Gefecht, auf den Schlusspunkt einer langen Geschichte. Nach dem großen RAF-Gedenken im Jahr 2007, als sich der heiße Herbst zum 30. Mal jährte, drängt ab dem 25. September die Verfilmung von Austs Buch in die Kinos.
Neu an der Neuauflage des Buches sind die eingefügten Fotos, ein paar Fußnoten und ein paar Details, die Aust der Öffentlichkeit schon in einer großen Spiegel-Geschichte kundgetan hat. Am stärksten hat sich das Buch äußerlich verändert: Die erste Auflage hatte einen schwarzen Umschlag, die zweite einen roten und die dritte einen weißen.
Dass hier, pünktlich zum Film, noch einmal die Vermarktungsmaschinerie angeworfen wird, zeigt auch der Blick aufs Begleitprogramm. Katja Eichinger, die Frau von Produzent Bernd Eichinger, stellt ihr Buch zum Film zum Buch vor. Auf dieses Highlight muss man allerdings noch warten, genauso wie auf das anrührige Buch „Sie nannten mich Familienbulle“, in dem Alfred Klaus seine Jahre als Sonderermittler gegen die RAF schildert. Auch ein Hörbuch von Aust ist noch nicht raus, und das Filmhörbuch, das für 9,95 Euro die Originaltonspur des Films zugänglich macht, wird natürlich genauso zurückgehalten.
Die Geschichte der RAF ist also im wesentlichen erzählt. Jetzt setzt die Phase der Neuvermarktung ein. Und klar, dass da Aust an erster Stelle mitmischt. Die RAF, das ist Austs Thema, den Genitiv im absoluten Sinn verstanden. Er sagte es bei der Buchpräsentation noch einmal selbst: Keiner habe 1985, als er das Buch schrieb, verstanden, warum er sich so ausführlich mit dem Thema auseinander setzte; keiner habe damals verstanden, dass mit der RAF etwas völlig neuartiges geschehen sei, keiner die Bedeutung abzuschätzen gewusst, die in der Tatsache läge, dass zum ersten Mal der Staat von innen und von den eigenen Kindern in seinen Grundfesten erschüttert worden sei. Ja, es habe keiner begriffen, dass die RAF, ihre Bomben, ihre Opfer, „eine der ganz großen Geschichten der Nachkriegszeit“ sei. Das konnte nur ein ganz großer Journalist.
Austs Worte lassen zurückdenken an die Wendung, die nach der Wende die Sicht auf die RAF genommen hat. Was Aust als „ganz große Geschichte“ erschien, sah eine Generation, die mit dem gefühlten Ende der Geschichte und im Zeitalter der Ironie groß geworden war, gleich als die letzte große Geschichte. „Da gibt es Entführung, Flucht, Untergrund – das Land zu RAF-Zeiten war der letzte große Abenteuerspielplatz der deutschen Geschichte“, sagte etwa der Dramaturg John von Düffel und brachte damit den Fluch der späten Geburt auf den Punkt.
Austs große Geschichte verwandelte sich in den großen Mythos, der durch die Kunst, die Theater, Konzerthallen, Modegeschäfte und Redaktionen geisterte. Pars pro toto stand dafür das Label „Prada Meinhof“, unter dem die Hamburger Boutique „Maegde und Knechte“ ein T-Shirt vermarkteten. Auf dem Gipfel des Hypes brachte die Modezeitschrift Tussi Deluxe die 22 Seiten lange Bilderstrecke „RAF-Parade“, in der Models einige Szenen aus der Geschichte der RAF nachstellen.
Es ist eine bittere Ironie der Geschichte, die beide, die RAF und Aust, da ereilte. Die RAF formierte sich mit der Brandstiftung in Kaufhäusern und geißelte bis zuletzt die Konsumwut ihrer Zeit. Und plötzlich sieht es so aus, als ob von diesem Protest nichts anderes bliebe als das: ein paar Modeartikel und andere Accessoires des Radical Chic. Aust hingegen hat sich stets bemüht, die Geschichte so nüchtern und genau zu erzählen wie möglich – und musste dann erleben, wie „seine große Geschichte“ den Jungen von heute wieder mal die Köpfe zu verdrehen drohte.
Nach dem Film ist der Spuk hoffentlich bald vorbei. Bedauerlich bleibt dann nur, dass die einzig wichtige Frage kaum gestellt wird: Wie kam es, dass der emanzipatorische Aufbruch einiger junger Menschen schon bald in Gewalt endete? Wer sich das fragt, den interessiert die Geschichte der RAF nur bis dem Punkt, an dem Austs filmreifer Krimi anfängt.