: „Oh shit!“
Sarah Louise Heath Palin wurde am 11. Februar 1964 in Sandpoint, Idaho, geboren. Seit Dezember 2006 ist das Mitglied der Republican Party als erste Frau Gouverneurin von Alaska. Palin erhielt 1987 an der Universität von Idaho den Bachelor in Kommunikation und Journalismus. Sie lebt mit ihrer Familie in Wasilla, ca. 60 Kilometer von Anchorage entfernt. Seit der Präsentation Palins als Vizekandidatin der Republikaner halten sich Berichte, die Berufung sei überhastet gewesen. Kurz nach der Präsentation Palins schickte Präsidentschaftskandidat John McCain rund ein Dutzend Kommunikationsfachleute und Anwälte nach Alaska. Das nährte die Spekulationen, dass die zuvor erfolgte Untersuchung von Palins Vergangenheit nicht umfassend genug war. Inzwischen gab es schon etliche Fragen an Arthur Culvahouse, der die Kandidatensuche für McCain koordiniert hatte. Auf die Frage, ob er wirklich alle möglichen Probleme im Lebenslauf von Palin überprüft habe, sagte Culvahouse: „Ich glaube schon.“ AP
AUS MINNEAPOLIS-ST. PAUL ADRIENNE WOLTERSDORF
Sie ist das Gesprächsthema der Kaffeerunden am Rande des Parteitages. Keiner der republikanischen Delegierten will etwas Schlechtes über die erst seit wenigen Tagen bekannte Vizepräsidentschaftskandidatin der Konservativen sagen. Sarah Palin? „Oh, sie ist eine Wahnsinns-Lady!“, schwärmt der 68-jährige Abgeordnete des Repräsentantenhauses in Alaska, Bob Lynn. Er kennt sie seit 2002 und nennt sie anerkennend eine „straight shooter“, eine, die mitten ins Schwarze trifft und Tacheles redet. Dass sie zusammen mit John McCain, dem Präsidentschaftskandidaten, ein „gutes Paar“ abgeben wird, daran hat der Mann im Delegiertensessel und im karierten Hemd keinen Zweifel.
Anders als Lynn aber haben die meisten Delegierten des republikanischen Parteitages den Namen der Gouverneurin erstmals am vergangenen Freitag gehört. Im US-Fernsehen wurde, kurz nachdem die McCain-Kampagne zur Überraschung aller sie als Vize vorschlug, zunächst darüber aufgeklärt, wie man ihren Namen ausspricht: Pay-lin. Seitdem wird hektisch recherchiert, wer überhaupt diese Frau aus der letzten unerforschten Wildnis der Vereinigten Staaten, nämlich Alaska, ist.
Auf Einblicke in ihr Leben musste nicht lange gewartet werden. Bereits am Montagmorgen, dem Auftakt zum viertätigen Nominierungsparteitag im US-Bundesstaat Minnesota, platzte die Bombe. „Habt ihr schon gehört?“, fragen sich die wegen des Hurrikans „Gustav“ ratlos und tatenlos herumsitzenden Delegierten. Klar, jeder hatte es schon gehört. „Oh shit,“ sagte einer, der sofort von seinen Kollegen mit den Ellenbogen zurechtgeknufft wurde, nachdem sie sich umgeschaut hatten, ob auch keine Reporter anwesend sind. Die zweite Nachricht hatten die meisten bis Mittag dann auch schon vernommen: die Top-secret-E-Mail an die Delegierten mit den Anweisungen, den „talking points“ des Parteivorstandes, was gegenüber der Presse in puncto Sarah Palin zu sagen sei: Nein, es ist kein Minuspunkt, dass ihre 17-jährige Tochter Bristol bereits im fünften Monat schwanger sei. Ach wissen Sie, das kann allen Eltern passieren. Haben Sie schon mal eine 17-Jährige gesehen, die das tut, was man ihr sagt? Ich bitte Sie, das unterstreicht nur, wie ernst es Sarah Palin mit ihrem Bekenntnis zum Schutz des ungeborenen Lebens nimmt.
Während die Repräsentanten aus Texas, aus Louisiana oder aus Idaho das sagen, sehen sie nicht so aus, als müssten sie sich dabei ernstlich verbiegen. Palin, das ist zu spüren, ist unter den hier aus den ganzen USA angereisten Parteisoldaten wirklich ein Star. Ultrakonservativ, tough, jung. Sie kann nicht nur auf Elche schießen, sondern angeblich auch Nein zu den Ölbonzen sagen.
Palin, das wird schnell klar, scheint all das zu sein, was sich die konservative Basis wünscht. Sollen doch die Liberalen in ihren Blogs über „Hurrikan Bristol“ lästern. Wer zuletzt lacht, lacht am besten, lautet hier die zuvorkommend, aber auch ein bisschen zu bestimmt vermittelte Stimmung.
Für John McCain ist Sarah Palin der Beweis für seine Behauptung, er stünde für Neuanfang und einen Politikstil von jenseits der Washingtoner Ringautobahn, dem beltway. Für die konservativen Establishment-Frauen, in den ersten beiden Tagen des vom Sturm durcheinandergewirbelten Parteitages repräsentiert durch die amtierende First Lady Laura Bush und ihre mögliche Nachfolgerin Cindy McCain, ist Palin plötzlich der feministische Hoffnungsfunke. Laura Bush nennt Palin eine „Superwoman“ und jubelt, dass sie dieses Mal die Chance haben werde, für eine republikanische Frau zu stimmen.
Laut erinnert sich Bush daran, wie sie mit der Gouverneurin dinierte, obgleich diese im fünften Monat schwanger war mit ihrem fünften Kind, dem vor vier Monaten geborenen, behinderten Sohn Trig. Was die First Lady mit salbungsvoller Stimme sagen will: Diese Frau ist so wie du, eine Frau, die versucht, ihren Beruf und ihre Familie auf die Reihe zu kriegen.
Dass Sarah Palin das keineswegs so still und leise einfach tut, wie die PR-Maschinerie des Parteitages es nun darstellt, das zeigt ein Blick in ihr Leben. Sorgfältig hat sie über die Jahre das Image einer hart arbeitenden Politikerin und Mutter kultiviert. Schon vor Jahren hat sie damit angegeben, trotz ihrer inzwischen fünf Kinder nie eine Tagesmutter beschäftigt zu haben. Sie ließ die Presse dabei sein, als sie den Koch des Gouverneurspalastes entließ. Schließlich koche sie gerne und außerdem seien ihre Kinder alt genug, sich selbst ein Sandwich zu machen.
Selbst gemessen an Palins ohnehin hektischem und durchorganisiertem Leben hat die 44-jährige Gouverneurin ein turbulentes Jahr hinter sich: Erst die Geburt des behinderten Sohnes im April. Die Palins hatten zuvor in einer Pressekonferenz erklärt, trotz des diagnostizierten Down-Syndroms das Kind selbstverständlich nicht abtreiben lassen zu wollen – und daraus eine Show religiöser Gesinnung gemacht. Dann der Entschluss von Palins ältestem Sohn, Track, 18, in den Irakkrieg zu ziehen. Kurz danach müssen die Sondierungsgespräche mit dem John-McCain-Findungsteam begonnen haben.
Von dort ist zu hören, dass die Schwangerschaft der Palin-Tochter Bristol durchaus bekannt war. Nun also auch noch Schwieger- und Großmutter und mögliche erste Vizepräsidentin der USA. In den US-Medien kursieren bereits Details – wie das, dass Palin, kurz bevor sie im April hochschwanger vor der Gouverneursversammlung in Texas sprach, bemerkte, wie ihr Fruchtwasser auslief und die Wehen einsetzten – aber sich nichts anmerken ließ. Nach der Rede habe sie seelenruhig mit Attest und ohne der Crew ein Wort zu sagen das Flugzeug bestiegen und den achtstündigen Heimflug angetreten. Anschließend habe sie ihr Mann Todd zur winzigen Poliklinik ihres Heimatortes Wasilla gefahren, wo sie kurz darauf ihren Sohn gebar.
Nun ja, eben eine Frau wie jede andere. Noch Fragen? Ach ja, natürlich läuft Sarah Palin auch Marathon und erlegt sonntags schon mal einen Hirsch.
Dass es einige Widersprüche gibt zur McCain-Darstellung, das will in Minneapolis jedenfalls keiner tiefer beleuchten. Dass sie eine Politikerin ist, die gegen Verschwendung von Steuergeldern ist, aber selbst mithilfe der Alaska-Senatoren kräftig Geld in ihren Heimatstaat umlenkte. Dass sie einerseits den Ölmagnaten in Ethikfragen auf die Finger geklopft haben soll, andererseits für die schrankenlose Ausbeutung der Rohstoffe Alaskas ist. Dass sie vehement gegen Sexualkundeunterricht in den Schulen und für Abstinenzerziehung ist – und dies augenscheinlich nicht einmal im eigenen Haushalt effektiv durchsetzten kann. Dass gegen sie ein Ermittlungsverfahren läuft, das untersucht, ob sie den Exmann ihrer Schwester aus persönlichen oder tatsächlich aus professionellen Gründen aus dem Staatsdienst entließ.
Alle diese Fragen sind zu komplex für einen Parteitag us-amerikanischer Prägung und haben keinen Platz in der ausgeklügelten Show-Choreografie, die John McCain zum starken Mann der Konservativen katapultieren wird.
Dass am Donnerstagabend dieses Ziel erreicht sein wird, daran besteht bei den Versammelten kein Zweifel. Selbst in der Delegation aus Louisiana, dem von der republikanischen Administration George W. Bushs sträflich vernachlässigten Bundesstaat, herrscht Hochstimmung. Tim Johnson, seit 30 Jahren Konservativer, ist im McCain-Fieber. „Er ist der Richtige“, sagt der Vizerektor des Louisiana-Colleges. Gefragt, ob er nach Hurrikan „Katrina“ und dem katastrophalen Krisenmanagement der Regierung keinen Grund habe, den Republikanern gegenüber misstrauisch zu sein, antwortet Johnson: „Na, für ‚Katrina‘ sind ja wohl auch andere zur Rechenschaft zu ziehen.“ An Bush lässt er zwar kaum ein gutes Haar, weil „er eben die reine Lehre der Konservativen verlassen habe“, aber John McCain, der wirklich ein „prinzipientreuer Patriot“ sei, werde die Konservativen wieder würdig vertreten.
Auch Johnsons Sitznachbar, Rhett Davies, der am Sonntag mit dem von McCain gecharterten Flugzeug für die Louisiana-Delegierten schnell in die vom Wirbelsturm „Gustav“ bedrohte Heimat jettete, um seine drei Kinder und die Schwiegermutter nach Minneapolis und in Sicherheit zu bringen, ist begeistert vom 72-jährigen Präsidentschaftskandidaten. „Das mit dem Flugzeug ist die Handschrift McCains. Ihm geht es nicht ums Präsidentwerden. Er hat immer sein Land an die erste Stelle gesetzt, dem er selbstlos dienen will.“
Noch begeisterter als von McCain sind die beiden Delegierten nur noch vom neuen konservativen Gouverneur von Louisiana. Bobby Jindall, der erste indischstämmige Gouverneur der USA, habe „zu Hause alles so super unter Kontrolle, das erlaubt uns hier, unserem Land zu dienen und John McCain zu nominieren.“
„Dienen“ und „Country first“ – das Heimatland zuerst, das sind zufällig auch die programmatischen Schlagworte, die John McCain für diesen Parteitag ausgesucht hat. Es gibt sie auf roten, bedruckten Pappschildern. Die halten die Delegierten nach den Parteitagsreden abwechselnd wedelnd in die Luft.
Draußen an der Kaffeebar stehen nach den ersten Ansprachen des Dienstagnachmittags einige Delegierte aus dem Süden zusammen und schlürfen ihren Café Latte. „Glaubst du, die Palin hat genügend außenpolitische Erfahrungen?“, fragt eine ihren Tischnachbarn. „Aber hallo, sie kommt doch aus Alaska. Das grenzt an Russland,“ antwortet einer, schaut ernst, und muss dann doch noch lachen.