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Archiv-Artikel

Unter dem Meeresboden das Klimagas

Die Tiefkühltruhe der Erde leckt. Seit der letzten Eiszeit gefrorenes Methan wird als Gas aus dem arktischen Meeresboden freigesetzt

Es perlt. Und Örjan Gustafsson findet das sehr beunruhigend: „Wir haben eine neue Region im Meer gefunden, in dem eine aktive Ausgasung stattfindet. Bislang war man davon ausgegangen, dass diese Meeresböden kein Methangas freisetzen, weil sie seit der letzten Eiszeit gefroren sind. Das stimmt also nicht mehr.“

Was der Professor für die Biochemie der Meere von der Universität Stockholm im ostsibirischen Laptewmeer, etwa auf halber Strecke zwischen Nordnorwegen und Alaska entdeckt hat, bestätigt Befürchtungen, die russische Forscher schon länger haben.

Infolge der Erwärmung der Arktis ist nicht nur die Eisdecke auf der Nordostpassage fast ganz verschwunden. Wie die aktuelle schwedisch-russische Forschungsexpedition „International Siberian Shelf Study“ (ISSS08) mit Hilfe neuer Messmethoden feststellen konnte, scheint es auch unter dem Meeresspiegel dramatische Veränderungen zu geben. Man hat hohe Werte von Methan an der Wasseroberfläche und noch mehr davon in den oberen Wasserschichten gemessen.

Was Igor Semiletow, der russische Chef der Expedition ISSS08, der am „International Arctic Research Center“ der Universität von Fairbanks, Alaska, forscht, schon seit 2003 anhand einzelner Messungen registrierte, konnte laut Örjan Gustafsson nun durch den Einsatz neuester Technik in Luft, Wasser und am Meeresboden als deutlichen Trend bestätigt werden: An immer mehr Stellen im arktischen Meer wird Methan freigesetzt.

Bei den Modellen des UN-Klimapanel IPCC wurde diese Klimagasquelle noch nicht berücksichtigt. So hat das US-Institut für Atmosphärenforschung NOAA für 2007 erstmals seit zehn Jahren einen Anstieg des Methangehalts in der Atmosphäre festgestellt.

Gerade in den seit bis zu 40.000 Jahren dauernd gefrorenen Permafrostregionen Sibiriens sind auf dem Land und im Meeresboden gewaltige Mengen an Kohlenstoff gespeichert. WissenschaftlerInnen schätzen, dass im Meeresgrund 100-mal mehr Methan gebunden ist, als sich derzeit in der Erdatmosphäre befindet. Taut dieses Reservoir auch nur teilweise auf, könnten Milliarden Tonnen Methan in die Atmosphäre gelangen. Der Treibhauseffekt von Methan ist 25-mal stärker als der von Kohlendioxid. Freigesetztes Methan könnte die Erwärmung der Atmosphäre also schlagartig beschleunigen.

Dass sich bisherige Permafrostregionen im Sommer immer mehr in Sumpf- und Seenlandschaften verwandeln und dabei Methangas und Kohlendioxid freisetzen, beobachten Wissenschaftler schon seit Jahren mit Sorge. Gerade Sibirien und das arktische Meer heizen sich derzeit besonders schnell auf: In den letzten zehn Jahren sind hier die Sommertemperaturen um vier bis fünf Grad angestiegen.

Die beunruhigende Frage, ob auch die Methanlager im Permafrost unter dem Meer instabil werden und ausgasen, müsse man aufgrund der aktuellen Messungen mittlerweile mit einem klaren Ja beantworten, meint Örjan Gustafsson: „Jetzt versuchen wir noch zu quantifizieren, in welchem Ausmaß das geschieht und ob unsere Beobachtungen ganz generell für größere Meeresgebiete gültig sind.“

REINHARD WOLFF