: Ohne jede Security
Weltfrieden hinterm Kanzleramt: Der Karneval der Verpeilten hält die Fahne hoch und alle kommen. Am Sonntag fand zum zehnten Mal der größte nichtkommerzielle Rave Berlins statt
VON LAURA EWERT
„Kopf aus“, hatte jemand auf ein Pappschild geschrieben und an einem roten Schaufensterpuppenkopf befestigt. Schild und Kopf wackelten an einem Stiel inmitten von tanzenden Menschen. Auf der anderen Seite stand eine zweite Aufforderung: „Let’s dance“. Seit zehn Jahren wird in Berlin etwa zeitgleich zum Weltfriedenstag auf dem Karneval der Verpeilten getanzt – die mittlerweile größte nichtkommerzielle Open-Air-Technoveranstaltung der Stadt. Offiziell heißt das Fest „Tanzen für den Weltfrieden“, und dafür kamen am Sonntagnachmittag geschätzte 5.000 Leute auf eine Wiese in die Nähe des Kanzleramts im Moabiter Werder. Der Zusammenhang zwischen globalem Frieden und lokal zelebrierter Ekstase wird den meisten ein Rätsel bleiben, was der Party keinen Abbruch tut.
Ende der 90er, als die Techno-Hippies noch in der Köpi oder der Grünen Hölle tanzten, kam ein in Berlin lebender französischer Punk auf die Idee, eine etwas andere Party zu organisieren, die nicht nur der bloßen Massenbespaßung dienen sollte. Die Einnahmen der Bar, denn Eintritt haben die Veranstalter nie genommen, sollten gespendet werden. Charity oder Soli schrieb man sich aber nicht groß auf den Flyer, auch auffällig sichtbare Sponsoren waren in diesem Jahr nicht zu sehen. Empfänger der Spenden ist ein Freund des Erfinders, der in Kambodscha lebt. Er bekommt jährlich eine kleine Summe, die immerhin mehreren Waisenkindern in seinem Dorf Schule, Wasser und Medikamente finanziert. Nachvollziehbares, direktes und überprüfbares Spenden, das war den Hobbyveranstaltern wichtig.
Mittlerweile ist der Erfinder des KDV von der Partybildfläche verschwunden. Seine alten Mitstreiter, zwei von ihnen selbst DJ und Musikerin, können sich noch daran erinnern, wie in den ersten Jahren nur um die 200 Leute kamen. Im Görli bauten die Gäste damals noch selbst Zelte auf, um sich bei Regen unterstellen zu können. Mit der Zeit kamen mehr Leute, das fünfköpfige Veranstalter-Team baute mit seinen Helfern Bar und Zelte selber auf und tanzte am Bethaniendamm, auf dem Mariannenplatz und die letzten drei Jahre hinter dem Planetarium an der Prenzlauer Allee.
Zum zehnjährigen Jubiläum zog man nun in die Nähe des Regierungsviertels, auch um die immer weiter steigende Besucherzahl so ein wenig zu minimieren, aber Mädchen mit weißer Federperücke und kleinen Diskokugeln um den Hals kamen genauso zahlreich wie Köpenicker Hobbyboxer mit akkuraten Haarschnitten oder die Prenzelberger Kleinfamilie mit Golden Retriever. Da ist dann natürlich schnell vom Ausverkauf des Undergrounds die Rede. Vielleicht ist das aber auch der eigentliche Beitrag zum Frieden, dass die verschiedenen Szenen, die sich sonst an den Türen ihrer Stammclubs eher gegenseitig ausgrenzen, einmal im Jahr nebeneinander die Hand zum Bass in den Himmel recken. Und das ganz ohne Security.
Gegen Mittag legten sich die ersten Wachgebliebenen aus den Clubs auf ihre mitgebrachten Decken. Links leuchtete die Goldelse, rechts der Bahnhofsklotz, in den immer neue Züge einfuhren. „So was geht auch nur in Berlin“, hörte man Sekt trinkende Gäste rufen, die der Politik wahrscheinlich physisch noch nie so nahe waren.
Anwohner radelten in sonntäglicher Gemütlichkeit vorbei und die Kiez-Hausmeister-Omi verscheuchte Raver mit voller Blase aus den Gebüschen, während noch letzte Scheinwerfer aufgehängt und die Bars mit Tüchern dekoriert wurden. Auf der Bühne spielte eine israelische Band griechische Musik und eine Frau tanzte mit ihrem Hund sozusagen Hand in Hand auf den niedergetrampelten Wiesenblumen. Irgendwann am Nachmittag wurde dann die erste Technoplatte gespielt, der erste Bass setzte viel versprechend ein und die Wiese schien plötzlich viel größer.
Gegen Abend leuchtete ein Scheinwerfer über die tanzende Menge und manchmal in die große Bar, die schon seit Stunden im Dunkeln stand. Irgendwie war einer der Generatoren nicht zum Laufen zu bekommen. Auf der Bühne herrschte etwas Hektik, keiner der DJs oder Live-Acts durfte seine Zeit überziehen, genehmigt hat das Umweltamt die Kundgebung nur bis zehn und dann hatte auch noch einer der Organisatoren ins Krankenhaus gemusst, weil ihm die Nase gebrochen wurde.
Aber weder den Weltfrieden noch die kreischenden Tänzer hat das gestört. Feuerfontänen auf den Boxentürmen erhellten die grinsenden Gesichter, die letzten Reste Konfetti flogen durch die Luft und glitzernde Gesichter wurden aneinander gerieben. Pünktlich um zehn ging dann die Musik aus. Einige warteten mit großen, leicht panischen Augen vor der Bühne. Andere versuchten über Handy schnell den weiteren Abend zu gestalten. Über Flaschen, Decken und Regenschirme stolpernd verließen die Massen angeheizt und noch nicht satt die Wiese, denn eigentlich ging die Party ja jetzt erst richtig los. In den einzelnen Bezugsgruppen, die Richtung Hauptbahnhof zogen, wurde dann noch mal über die Umlandprolls oder die Hunde auf Partys gemeckert. Vielleicht ist „Kopf aus“ genau die richtige Herangehensweise, um in Frieden zu leben.