: Erröten im Museum
Wie man Aufmerksamkeit und Gefühle erzeugt: Die amerikanische Konzeptkünstlerin Barbara Bloom hat im Berliner Martin-Gropius-Bau einen Parcours der Rezeptionsmöglichkeiten aufgebaut
VON KATRIN BETTINA MÜLLER
Der Romantik galten die Erscheinungen der Ähnlichkeit als ein möglicher Schlüssel zum Verständnis der Welt. Es muss doch etwas zu bedeuten haben, vielleicht eine höhere Ordnung offenbaren, wenn sich die Proportionen, in denen die Planeten unseres Sonnensystems zueinander stehen, beispielsweise in dem Verhältnis der Töne wiederfinden, die wir als Harmonien empfinden, dachten Dichter und Philosophen damals. Heute liefert die Statistik zwar Material für das Vokabular der Ähnlichkeiten, allein die Behauptungen erscheinen vor allem skurril. So will ein Professor Brett Pelham von der New Yorker State University herausgefunden haben, dass „Menschen namens Dennis und Denise mit unverhältnismäßig höherer Wahrscheinlichkeit Zahnärzte (dentists) werden. Menschen namens Lawrence und Laurie werden mit unverhältnismäßig hoher Wahrscheinlichkeit Rechtsanwälte (lawyers).“
Zitiert wird diese Namensforschung in einem Buch über die amerikanische Konzeptkünstlerin Barbara Bloom, die ein großes Interesse an allen skurrilen Prozessen der Erkenntnis hat und in ihren eigenen Arbeiten noch einmal versucht, darin einen Schlüssel der Welt zu finden. Spiegelungen, Symmetrien und Ähnlichkeiten gilt deshalb auch der erste Raum ihrer Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau. Man sieht antike Statuen in Reproduktionen und ihre eigene Büste aus Gips, einmal mit und einmal ohne Nase, an den Stirnwänden eines Raumes. Dazwischen hängen viele symmetrische Bildanordnungen, gefunden in alten naturkundlichen Lexika ebenso wie auf Einladungskarten zeitgenössischer Künstler. Winzige Abbildungen der Dichter, die Barbara Bloom etwas bedeuten – darunter der Lolita-Autor und Schmetterlingssammler Nabokov –, finden sich ebenso auf Nadeln aufgespießt wie auf Briefmarken abgebildete Schmetterlinge.
Der englischsprachige Band „The Collections of Barbara Bloom“, erschienen bei Steidl in New York, gilt zugleich auch als Katalog ihrer Präsentation durch die Berliner Festspiele. Beide, Buch und Ausstellung, sind in eine Reihe von Kapiteln gegliedert und in beiden spielt die Beschriftung der Bilder und Bildausschnitte eine große Rolle. Denn Barbara Bloom ist ebenso sehr Autorin wie bildende Künstlerin. Nur dass der Erscheinungsort ihrer Texte zuerst die Museumswand und dann das Buch ist.
Nicht nur darin gleicht sie ihrer Kollegin Sophie Calle, sondern auch in der Strategie, von sich selbst als dritte Person zu erzählen. Die Ausstellung führt uns vor, was „B.B.“ gesammelt hat und wie „B.B.“ ihre Stücke ordnet. Dieser „B.B.“ gesteht Barbara Bloom dabei ein sehr affektives Verhältnis sowohl zu ihren Werken als auch vor allem zum Betrachter zu.
Denn es geht immer darum, spezielle Formen der Aufmerksamkeit zu generieren. „Blushing“ ist zum Beispiel ein Raum überschrieben, Erröten. Er zielt auf eine Wahrnehmung, die den ganzen Körper ergreift, Nerven, Blutbahnen, erogene Zonen streift. Die Fotografien, die hinter einem zarten Gazeschleier hängen, zeigen wiederum oft selbst Betrachtende, Rückenfiguren, die entweder eine gemalte Odaliske, einen Akt oder Fische im Aquarium betrachten.
Andere Kapitel gelten dem Verhältnis zwischen Benennung und Werk, der Rahmung, der musealen Inszenierung. Das sind verspielte, kluge Beobachtungen, wie der Status von Kunst in einer Ausstellung hergestellt wird. Eine Kritik an den musealen Inszenierungsformen ist dabei weniger das Anliegen Barbara Blooms als vielmehr ein ständiges Austüfteln neuer Optionen: Man könnte es auch anders machen und das Verhältnis zwischen Werk und Betrachter damit aktiver, lustvoller, intimer gestalten.
Barbara Bloom, geboren 1951 in Los Angeles, lebt heute in New York. In Berlin verbrachte sie einmal ein Jahr als daad-Stipendiatin, 1986. Das war die einzige Zeit, erzählt sie heute, in der sie ein Atelier hatte. Denn im Allgemeinen versuche sie, „keine Unterscheidung zwischen dem Alltag und der Arbeit zu machen“. Die Dinge in der Schwebe zu halten, ob es noch Vergnügen oder schon Arbeit ist, noch Ideenskizze oder schon Ergebnis, ist zur Handschrift der Künstlerin geworden. Obwohl sie seit den Neunzigerjahren in Europa und den USA in Galerien, Kunstvereinen und Museen mit Einzelausstellungen vertreten war, ist sie nicht sehr bekannt geworden.
Das liegt womöglich an den vielen literarischen Bezügen, mit denen sie spielt und die ihren Installationen einen bildungsbürgerlich ambitionierten Touch geben. So gehört zu den Räumen ihrer Berliner Ausstellung einer, der sich an den Philosophen des 18. Jahrhunderts Edmund Burke anlehnt und dessen Unterscheidung des „Erhabenen“, das wir bewundern und vor dem wir erschauern, von den „kleinen Dingen“, die wir lieben, zitiert. Da sieht man dann, grob gerastert, die Reproduktion einer alten Zeitungsfotografie, die kleine Menschen zu Füßen einer monumentalen Mama-Russland-Figur irgendwo in Sibirien zeigt, gegenüber einer Vitrine, in der ein Reiskorn durch eine Lupe zu bestaunen ist: Denn auf dem Reiskorn befindet sich eine Szene en miniature. Das geht dann alles so glatt auf, erscheint aber letztlich so illustrativ, dass Barbara Blooms elaborierte Untersuchungen über die Wahrnehmung am Ende doch auch etwas zu lieblich anmuten.
Bis 9. November, Martin-Gropius-Bau, Berlin, Katalog (Steidl Verlag New York) 45 €