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Archiv-Artikel

Irakische Frauen als lebende Bomben

Die Terrorgruppe al-Qaida hat im Irak an Boden verloren. Doch die Zahl von Selbstmordattentäterinnen steigt. Ihre Anschläge habe mehrere hundert Tote gefordert, und es wird gerätselt, warum jetzt Frauen solch Verbrechen begehen

BAGDAD taz ■ Der Terror im Irak hat ein neues Gesicht. Es ist kein finster dreinblickender Mann mit Bart, sondern eine junge Frau mit brauner Haarpracht und dicken Pausbacken – ein irakischer Teenager, fast noch ein Kind. Rania heißt sie, ist erst 15 Jahre alt, trotzdem schon verheiratet und stammt aus der ehemaligen Al-Qaida-Hochburg Bakuba nordöstlich von Bagdad. Dort wollte sie vor kurzem angeblich ein Selbstmordattentat verüben. Die Polizei nahm sie mit mehr als zehn Kilo Sprengstoff am Leib fest.

Seitdem ist Rania das Poster-Girl im Medienkrieg der irakischen Regierung gegen al-Qaida im Irak. Die Polizei veröffentlichte ein Video, und Zeitungen druckten ein Bild, auf dem sie wie ein wildes Tier an ein Eisengitter gekettet ist. Ob sich die junge Frau, deren voller Name bisher nicht bekannt ist, tatsächlich in die Luft sprengen wollte, ist umstritten. Nur die Wachsamkeit eines Kollegen habe ein Massaker verhindert, behauptet die Polizei. Das US-Militär nannte sie dagegen eine „widerwillige Selbstmordattentäterin“.

Rania selbst bestreitet die mörderische Absicht. Glaubt man ihr, war es ein perfider Plan ihres Mannes. Weibliche Verwandte von ihm hätten ihr Saft zu trinken gegeben, der bitter schmeckte und sie betäubt habe. Dann hätten sie ihr gegen ihren Willen den Sprengstoffgürtel umgelegt. „Ich wollte mich nicht in die Luft sprengen“, sagte sie. „Ich wusste gar nicht, wie man den Sprengsatz zündet.“

Die Politologin und Psychologin Maha Duri, die sich seit längerem mit irakischen Selbstmordattentäterinnen beschäftigt, hegt zwar Zweifel an der offiziellen Darstellung. Doch Rania passe nach allem, was bisher bekannt sei, in das Profil der irakischen Extremistinnen, sagt Duri im Gespräch mit der taz. „Fast alle kommen aus Gegenden, in denen die al-Qaida lange herrschte, und sind Sunnitinnen“, sagt Duri. „Ranias Mann gehörte vermutlich selbst der Terrorgruppe an.“ Von ihm fehlt jede Spur. „Rania war noch ein Kind, als sie unter den Einfluss der al-Qaida geriet.“

Bakuba und die umliegende Provinz Diyala dienten lange als Schaltzentrale von al-Qaida im Irak. Von hier erteilte der Terrorfürst Abu Mussab al-Sarkawi seine Befehle für die Bombenmassaker an den Schiiten, und nach seinem Tod 2006 rief sein Gefolge in Bakuba den „Islamischen Staat im Irak“ aus. Von hier stammen bisher auch die meisten weiblichen Selbstmordkommandos. Zwar ist das Phänomen nicht neu im Irak. Doch ist die Zahl der Attentäterinnen seit Ende letzten Jahres sprunghaft gestiegen. Seit Jahresbeginn haben sich mindestens 30 Frauen vor Polizeiwachen und auf öffentlichen Plätzen in die Luft gesprengt. Mehrere hundert Personen fielen den heimtückischen Anschlägen zum Opfer.

In Polizeikreisen erklärt man diesen Trend mit der verbesserten Sicherheitslage. Weil al-Qaida viele Rückzugsgebiete verloren habe, setze sie mit den Frauen nun das letzte Mittel ein, um die Kontrollen zu überwinden und die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Frauenorganisationen sehen in den extrem konservativen Stammestraditionen, der Armut und der mangelnden Bildung die Hauptgründe, warum so viele Terroristinnen aus der Gegend um Bakuba stammen. Rache für den Tod oder die Festnahme ihrer Männer, Väter oder Brüder gilt als wichtigster Beweggrund für diese Frauen.

Tatsächlich sind nach Angaben von Frauenorganisationen viele Selbstmordattentäterinnen Witwen. „Diese Frauen wissen oft nicht mehr ein noch aus“, sagt Meisum Ali. Die Sunnitin leitet in Bagdad ein Hilfsprojekt für Frauen, die ihre Männer durch Gewalt verloren haben. Dennoch ist ihr die Erklärung „Rache“ zu einfach. „Wenn es so wäre, hätten wir hunderttausende von Selbstmordattentäterinnen“, sagt Ali. „Die Not von solchen Frauen ist groß. Das macht sie aber noch lange nicht zu Terroristinnen.“

INGA ROGG