Das Ringen um die Deutungshoheit

BERLIN taz ■ Macht ist die Hoheit über das, was geschehen ist. In der SPD wird derzeit über die Deutungshoheit gerungen. Ist Kurt Beck das Opfer von Königsmördern geworden? Oder war sein Rücktritt der Ermüdungsbruch eines Vorsitzenden, der sich von allen angefeindet fühlte? Auch nach Becks Erklärung gestern sind die zentralen Fragen offen.

SPD-Vize Andrea Nahles hat – namenlose – Heckenschützen bezichtigt, die Beck auf dem Gewissen haben. Frank-Walter Steinmeier versichert vor jeder TV-Kamera, unschuldig an Becks Rücktritt zu sein. Der SPD-Vize Peer Steinbrück meint: „Von Putsch kann keine Rede sein.“ Was dann? Was ist zwischen Donnerstag und Samstagabend letzter Woche passiert?

Steinmeier, Beck und Müntefering, so die übereinstimmende Version, trafen sich am Donnerstagabend in Bonn. Man einigte sich darauf, dass Beck Steinmeier am Sonntag am Schwielowsee als Kanzlerkandidat präsentieren sollte. Und dass Müntefering am Wahlkampf der SPD 2009 beteiligt sein sollte. Steinmeier schien seine erste machtpolitische Bewährungsprobe als neue Schlüsselfigur der SPD bewältigt zu haben. Er hatte einen Kompromiss zwischen den Rivalen Beck und Müntefering erreicht.

Dann kam der Knall. Der gerade von den dreien klandestin beschlossene Plan stand am Samstag in einigen Zeitungen. Und es wurde in Medien kolportiert, dass Beck, wie ein bockiges Kind, zum Verzicht gedrängt werden musste. Das war, laut Beck, der Auslöser für seinen Rücktritt.

Wer hat am Freitag Medien mit dieser Fassung gefüttert? Wenn man nicht zu Verschwörungsthesen neigt, kommen nur zwei in Frage: Franz Müntefering und Frank-Walter Steinmeier. War einer der beiden starken Männer der SPD ihrem Vorsitzenden gegenüber derart illoyal? SPD-Fraktionschef Peter Struck hat auf diese Frage eine aufschlussreiche Antwort gegeben: „Ich weiß es nicht, und es ist mir auch egal.“ Damit wird die SPD nicht durchkommen. Steinmeier & Co wiederholen ohne Unterlass, dass die SPD nach vorne schauen müsse. Aber ein Neuanfang, der auf einem unausgesprochenen Verrat fußt, ist keiner. Dazu passt eine Personalie, die ebenfalls in die Vergangenheit weist: Kajo Wasserhövel wird als neuer Bundesgeschäftsführer den Wahlkampf 2009 managen. Müntefering wollte seinen Vertrauten im Jahr 2005 als Generalsekretär installieren. Als er damit nicht durchkam, trat Müntefering als Parteichef zurück – nun sind beide wieder zurück. STEFAN REINECKE