: Auf dem Weg zur Fußball-WM
Sie heißen JuHus Kickers, Werkheim Hannover, Hannibals Erben oder Dirty Devils. 20 Teams streiten zur Zeit in Hannover um die dritte deutsche Meisterschaft der Straßenfußballer. Der Bundestrainer beobachtet die Obdachlosen genau: Die besten nimmt er mit zur Weltmeisterschaft in Melbourne
Von ROGER REPPLINGER
Hans Dieter Hollnagel hat ein kleines Notizbuch, da schreibt er Namen rein. Und Positionen. In dieses Buch wollen an diesem Freitag und Samstag mitten in der City von Hannover alle rein: Hollnagel ist nämlich sowas wie der Jogi Löw der Straße: Ein richtiger Bundestrainer, auch wenn er diesen Namen nicht so gern hört. Der große Glatzköpfige coacht die deutsche Nationalmannschaft, die beim „Homeless World-Cup“, der Weltmeisterschaft der Straßenfußballer, antritt. In Hannover sichtet Hollmann die Talente, die vom 1. bis 7. Dezember gegen 55 Teams im australischen Melbourne antreten sollen. Hollnagel muss eine harte Auswahl treffen. „Wir werden immer besser, aber weil sich die anderen auch steigern, ändert sich an unserer Platzierung, immer so um Platz 20 herum, nichts“, sagt der Trainer.
In Hannover finden derzeit die dritten Deutschen Meisterschaften im Straßenfußball statt. Ein Testlauf für die WM der Obdachlosen, Titelverteidiger sind die Schotten. Vor zwei Jahren, bei der WM in Kapstadt, waren zwei Spieler Hannoveraner, 2007 in Kopenhagen nur noch Einer.
Die Zeiten, als nur aus Straßenzeitungs-Mannschaften gebildete Teams die Meisterschaften ausmachten, sind vorbei. 20 Teams sind am Start, Wohnungslosenhilfen, Sucht- und Drogentherapie-Einrichtungen. Wer etwas mit Obdachlosen zu tun hat, kann mitmachen: aus Norddeutschland starten die JuHus Kickers und die Kunztkicker aus Hamburg, das Jugendwerksiedlung Hannover (JWS), Hannibals Erben und die Integrale Hempels aus Kiel, Kalandhof Celle, die Dirty Devils aus Gifhorn.
Der fußballverrückte Westen ist unterrepräsentiert, Berlin nicht da. Teilnehmer und Betreuer der DM in Hannover, insgesamt 200 Personen, schlafen im Zeltdorf. DM-Veranstalter ist „Anstoß“, ein vom Bundesverband der Straßenzeitungen gegründeter Verein. Die Veranstaltung kostet 60.000 Euro, Sponsoren zu finden war nicht leicht. „Man weiß nie, welche Spieler antreten, weil es sein kann, dass die Staatsanwaltschaft einen Haftbefehl vollstreckt“, erklärt Sozialarbeiter Klaus Steffens, im Herzen immer linker Verteidiger seines Heimatclubs Thönse Wettmar geblieben, der bei der JWS für Sport zuständig ist.
So ein Haftbefehl kann vollstreckt werden, wegen Schwarzfahrens, das den Widerruf der Bewährung nach sich ziehen kann. Steffens (Klaus), der zwei Mal pro Woche mit seinen Spielern trainiert, erweist sich als Fan von Stevens (Hub): „Die Null muss stehen.“
Gelang bei den ersten DM-Spielen prima: 4:0 gegen Streetwork Karlsruhe und 10:0 gegen JuHu Hamburg. Zwei Mal sieben Minuten, das Spielfeld ist 18 Meter lang, zwölf Meter breit, drei Feldspieler, ein Torwart, vier Einwechselspieler.
Silvio, 31 Jahre alt, steht im JWS-Tor. Seit einer Woche ist er mit Katrin verheiratet, die er in der Einrichtung kennen gelernt hat. Nach einem Jahr auf der Straße hat er eine eigene Wohnung und arbeitet seit eineinhalb Jahren als Packer. „400-Euro-Job, aber besser als nüscht“, sagt er. Als Silvio von Steffens gefragt wurde, ob er nicht Lust habe, ein bisschen zu kicken, nickte er. Seit er wieder Sport treibt, fühlt er sich besser. „Die ersten Trainingseinheiten waren katastrophal, dann wurde die Kondition besser. Gutes Gefühl“, erzählt Silvio, „wichtig ist, dass jeder für den anderen einsteht.“ Der Fußball, das ist Steffens feste Überzeugung, hilft in Bezug auf Selbstbewusstsein, die Planung des Tagesablaufs, die sozialen Kontakte. „Wer Fußball spielt, traut sich eher in eine eigene Wohnung, weil er seine Kontakte zu uns, zu den Kumpels, nicht verliert, auch wenn er die soziale Einrichtung verlässt“, erklärt Steffens. Beim Fußball werden „Toleranz und Teamfähigkeit gelernt, Frustrationstoleranz, die Spieler lernen mit Siegen und Niederlagen umzugehen“. Was ist denn schwieriger? Verlieren oder Gewinnen? Steffens: „Wenn ich im Leben immer Verlierer bin, dann ist Siegen schwieriger – das Verlieren kennen die Jungs.“
Da kommt es leicht zu Übermut.
Für Steffens ist der Fußball ein „Mittel der Arbeit, eine extrem plastische Möglichkeit.“ Fehler wirken sich sofort aus, wer etwas richtig macht, wird nicht immer sofort belohnt, aber irgendwann schon. Manche Gespräche erübrigen sich, wenn es um den Fußball geht, etwa über Drogen.
Da gab es einen Spieler im Training, der einen Krampf hatte. „Scheiß Alkohol“, sagte Steffens. „Nene“, sagte der Spieler, „das hat nix mit dem Alkohol zu tun.“ Beim nächsten Training Krämpfe in beiden Waden. „Scheiß Alkohol“, sagte Steffens. Der Spieler schüttelte den Kopf. Beim Training am nächsten Morgen lag der Spieler mit Krämpfen in Oberschenkeln und Waden am Boden. „Scheiß Alkohol“, wiederholte sich Steffens. Die Antwort lautete nun: „Lass uns reden.“