: berliner szenen Teil des Problems
Günstiger Rausch
L., die als Kind tatsächlich „Young Miss Hanoi“ war, erzählt Unfassbares. Eine alte Schulfreundin hatte am Zionskirchplatz die ehemalige Wohnung der Eltern allein übernommen – 70 Quadratmeter, 200 Euro – „Ostmietvertrag, ihr wisst schon!“ Doch diese hielt es nicht lange aus und flüchtete Richtung Neukölln. Sie könne die komischen Gesichter, die hier schon seit einer Weile herumliefen, nicht mehr sehen.
Wir dagegen schon, sind wohl eher Teil des Problems und sitzen deshalb vor einem beliebten Weinlokal, in Blickweite zur welken Zionskirche. Sei hier alles mächtig soft geworden, sagen einige Kiez-Ehemalige. Das genießen viele an diesem lauen Abend. Zur Verabschiedung der Schönheitskönigin und ihres Freundes in ein Auslandsjahr nach Spanien sind wir eine heitere Runde unter einer großen Schar aus Nachtschwärmern. Ich bewache den Tisch, während die anderen drinnen die Gläser nachfüllen und der sehr strengen Bedienung erklären, dass sie die Regeln der Bezahlung kennen. Also freiwilliger Beitrag pro ausgetrunkenem Glas Wein, aber wehe, wenn weniger als die empfohlenen „Einsfuffzich“ trotz easy going Zahl-doch-was-du-willst-Philosophie. Durch die Stuhlreihen zwängt sich derweil ein derangierter Typ mit großem Korb – nein, nicht der Lekka!-Lekka!-Mann mit seinen trockenen Brötchen, der auf jedem Rave auftaucht und selbst frisch zugezogenen Technofreunden bekannter sein dürfte als der Hauptmann von Köpenick. Diesmal heißt es: „Wollt ihr Space-Cookies? Einen für vier Euro.“ Die meisten verneinen wissend, ein Italiener gegenüber nicht. Ich versuche, rettende Blicke zu senden, aber nach etwas Feilschen gibt er einen Fünfer und bekommt zwei Prenzelberger Pralinen mit Schuss. NIELS MÜNZBERG