: Die Krankheit der Gefühle
Am liebsten hat sich Michelangelo Antonioni in den leeren Bürgerseelen umgeschaut. Was im Arsenal nochmals zu sehen ist
Zuerst war die Erde karg, das meiste lag in Trümmern – man musste sich nur ein wenig umschauen. Weswegen sich der italienische Neorealismus erst gar nicht weiter mit den Freuden (und dem Elend) des Luxus aufhielt. Als sich dann aber auch in Italien Anfang der 50er-Jahre die Gesellschaft wieder mehr als nur notdürftig eingerichtet hatte, war der Neorealismo künstlerisch an seinem Ende angelangt. Und wurde – wenn man so will – von einem „inneren Neorealismus“ abgelöst, der nun die Armut sezierte, die sich ins Innere der Menschen zurückverlagert hatte. Die Leere der (bürgerlichen) Seelen, deren vorzüglicher Chronist Michelangelo Antonioni ist. Mit einer kleinen Filmreihe wird der Regisseur ein wenig nachträglich zu seinem 90. Geburtstag (er feierte ihn am 29. September) im Arsenal gewürdigt.
Der „Krankheit der Gefühle“ spürte Antonioni auch in „L’Avventura“ (3. Januar) von 1959 nach, der bei der Präsentation in Cannes für reichlich Pfiffe beim Publikum und der Kritik sorgte. Weniger aufgrund des Inhalts (bei dem ein junger Architekt nach dem plötzlichen Verschwinden seiner Verlobten mit deren Freundin und dann einer Prostituierten anbandelt), sondern wegen der offenen Erzählform, für die Antonioni alle konventionellen Handlungsbögen vernachlässigte.
Mit „Blow Up“ (5. & 7. Januar) glückte dem Regisseur dagegen verblüffenderweise ein Kassenerfolg, obwohl Antonioni auch hier reichlich distanziert ein ausgenüchtertes Bild von den Swinging Sixties zeichnete. Schein und Sein werden probeweise gegeneinander gehalten, ohne erst nach einem begütigendem Ausgleich zu suchen. Und bei „Zabriskie Point“ (6. & 9. Januar) hat sich alle Saturierheit schon wieder so fett gefressen, dass sie zum Ausbruch drängt. Irgendwie. Am Schluss des Films lässt Antonioni eine Villa explodieren. Ganz genüsslich in Zeitlupe. Mehrfach wiederholt. Wieder Trümmer. TM