Dünn bekleidet Beton schleppen

Die wieder eröffnete Gedenkstätte im Plattenhaus Poppenbüttel thematisiert die Verfolgung von Frauen in Hamburg im Dritten Reich. Das Haus wurde von jüdischen KZ-Häftlingen gebaut

VON PETRA SCHELLEN

Eigentlich sind es unscheinbare Plattenhäuser. Behelfswohnungen eben, die nach dem Hamburger „Feuersturm“ im Juli 1943 vor allem jenen Menschen zugeteilt wurden, die in kriegswichtigen Betrieben arbeiteten. 3.000 solcher Häuser hatten die Nazis in Poppenbüttel geplant. 300 wurden bis Kriegsende fertig.

Wer die Einzel- und Doppelhäuser baute, wussten viele Bewohner der in den 70ern und 80ern großenteils abgerissenen Häuser nicht. Es waren 500 jüdische Frauen, die im Sommer 1944 aus dem KZ Auschwitz-Birkenau gebracht worden waren. Sie mussten das Gelände planieren, Zementsäcke und Betonplatten schleppen – schwere Arbeiten, die sie gemeinsam mit italienischen Kriegsgefangenen verrichteten. Untergebracht waren sie in Sasel, einem Frauen-Außenlager des KZ Neuengamme.

Im einzigen stehen gebliebenen Plattenhaus wurde vor wenigen Tagen die neu gestaltete Gedenkstätte vorgestellt. Deren Vorgeschichte ist markant: 1985 hatten Schüler des Gymnasiums Oberalster die Geschichte der Siedlung erforscht und auf die Errichtung eines Gedenksteins gedrungen. Stadtteilinitiativen machten sich für den Erhalt dieses letzten Plattenhauses stark, das mithilfe des Museums für Hamburgische Geschichte zur Gedenkstätte wurde. Deren erste Ausstellung konzentrierte sich auf Verfolgung und Widerstand in Poppenbüttel.

Für die neue Dauerausstellung hat sich der Fokus geweitet: „Wir haben die Schicksale dieser 500 Frauen zum Anlass genommen, über die Verfolgung von Frauen während des Dritten Reichs in ganz Hamburg zu informieren“, sagt der betreuende Historiker Herbert Diercks aus der Gedenkstätte Neuengamme. Die Frauenabteilung des KZ Fuhlsbüttel zähle hierzu – sowie die im Untersuchungsgefängnis am Holstenglacis hingerichteten Widerstandskämpferinnen. Auch Frauen, die aus den Alsterdorfer Anstalten zur Euthanasie nach Österreich deportiert wurden, widmet sich die Schau.

All dies seien zwar keine frauenspezifischen Schicksale, räumt Dierks ein. Aber es seien Facetten dessen, was sich in Hamburg abgespielt habe, und „die Behauptung, dass die Bevölkerung von alldem nichts bemerkt habe, können wir widerlegen: KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter wurden auf öffentlichen Straßen zur Arbeit getrieben.“

Dass Jüdinnen für die schweren Bauarbeiten in Poppenbüttel eingesetzt worden seien, sei zudem Ausdruck der „Hierarchie“ der von den Nazis Verfolgten, in der Juden ganz unten standen. „Die im Neuengammer Außenlager Wandsbek festgehaltenen Frauen etwa wurden aus anderen Gründen verfolgt – als Zeuginnen Jehovas und Widerstandskämpferinnen etwa“, sagt Diercks. „Sie verrichteten leichtere Arbeiten in der Rüstungsindustrie – in einer Fabrikhalle und nicht, wie in Poppenbüttel, dünn bekleidet unter freiem Himmel.“

Abgesehen von diesen graduellen Unterschieden seien Frauen oft Übergriffen der meist männlichen Bewacher ausgesetzt gewesen. „Und wenn eine Schwangerschaft bekannt wurde, schickten die Nazis die Frau oft sofort in die Gaskammern von Auschwitz“, berichtet Diercks.

Schicksale, die repräsentativ sind für die Nazi-Maschinerie, „und genau dies wollen wir künftigen Generationen vermitteln“, sagt Diercks. Dabei arbeitet man nicht nur theoretisch: In zweien der drei Räume findet sich eine original eingerichtete Behelfswohnung von 1944.

Der dritte Raum – das eigentliche Ausstellungsareal – ist karg gestaltet. „Uns ist bewusst, dass das Haus unser wichtigstes Ausstellungsstück ist“, sagt Diercks. „Deshalb wollten wir diesen Raum nicht mit Texttafeln zustellen.“ Auch habe man Zwischendecken entfernt und die einzelnen Betonplatten der Dachkonstruktion sichtbar gemacht. Für die Gedenkstätte wünscht er sich, „dass sich besonders Fraueninitiativen, aber auch Schulen diese Räume zu eigen machen.“