: Religiöse Sturköppe
13 Jahre nach dem 650. feiert Oldenburg nun das 900. Stadtjubiläum. Für die taz ist das ein Anlass, den historischen Untiefen des Oldenburger Selbstverständnisses nachzuspüren, das auf besondere Weise zwischen heimattümelnder Duldsamkeit und aufgeklärter Liberalität oszilliert
JOACHIM KUROPKA war Professor für Geschichte und historische Landesforschung der Uni Vechta FOTO: PRIVAT
VON JOACHIM KUROPKA
In Oldenburg ist vieles etwas anders. Nachdem man 1995 das 650-jährige Jubiläum der Stadt gefeiert hatte, sind es 13 Jahre später schon 900 Jahre! Damals ging es um die Stadtrechtsverleihung, jetzt um die erste Erwähnung des Namens Oldenburg. Und in Oldenburg ist man nach wie vor überzeugt, dass sich Einheimische wie Fremde dort besonders wohl fühlten. Das hatte zum 600-jährigen Jubiläum, das im Januar 1945 begangen wurde, der „Heimatdichter“ August Hinrichs – „Ehrenbürger der Gauhauptstadt“ – in einem langen Artikel in der Staatszeitung ausgeführt, obwohl „freilich niemand angeben kann, was ihm denn dort so besonders gefallen hat“.
Um dem nun auf die Spur zu kommen, kann ein Blick in die Geschichte des Oldenburger Landes seit dem Beginn der politischen Partizipation im Jahre 1848 hilfreich sein. Damals hatte der Großherzog auf die Forderung nach einer Verfassung erklärt, es stehe doch „alles trefflich bei uns“. Er fügte sich dann in das Unvermeidliche, die Oldenburger waren begeistert, zu einem Zeitpunkt, als anderswo auf Barrikaden gekämpft wurde. Hier wurde nicht einmal die Regierung gestürzt, und ähnlich ging es im Jahre 1918 zu: Oldenburg war das einzige Land, in dem der Landtag im Amt blieb. Schon 1848 hatte ein Zeitgenosse gespottet, wenn man vor einen Oldenburger ein Bier und die Freiheit stelle, würde er mit letzterer nur ein wenig liebäugeln.
Das war gewissermaßen die eine Seite, es gab aber auch eine andere, als etwa am 3. Juni 1929 ein Bombenanschlag auf das Landesfinanzamt verübt wurde. Die Hintermänner kamen aus der krisengeschüttelten Landwirtschaft. Damals verweigerten die Bauern die Steuerzahlung, bildeten „Notgemeinschaften“, die Zwangsversteigerungen verhinderten, dabei „Heil Dir, o Oldenburg“ sangen und Parolen verbreiteten, die denen der NSDAP erstaunlich ähnlich sahen. Tatsächlich war Oldenburg 1929 mit hohen NSDAP-Ergebnissen eine unrühmlich Ausnahme im Deutschen Reich. Bei der Kommunalwahl 1930 erhielt die NSDAP in der Stadt Oldenburg 40,9 Prozent, bei der Landtagswahl im Mai 1932 erreichte sie die Mehrheit der Mandate. Man konnte damals schon einen Vorgeschmack auf das Dritte Reich bekommen: Der Landtag wurde entmachtet, Presse verboten, eine Hilfspolizei aufgebaut und Beamten entlassen.
Durch ein Gesetz vom 30. Januar 1934 verlor der ehemalige „Freistaat“ schließlich seine Hoheitsrechte. Zum zweiten Mal – war das Herzogtum doch von 1667 bis 1773 an Dänemark gefallen und in diesem Zuge im Selbstverständnis gewissermaßen eine Kolonie geworden. Vorbei war die Eigenstaatlichkeit, die noch in der Weimarer Republik die Politik bestimmt und den Oldenburgern – nicht der geringste Vorteil – vergleichsweise niedrige Steuern beschert hatte.
1945 entstand das Land unter britischer Ägide wieder, unter Theodor Tantzen als Ministerpräsidenten. Doch musste die Selbständigkeit erneut, diesmal zu Gunsten des Landes Niedersachsen mit dem 1. November 1946 aufgegeben werden. Die Beziehungen zu Hannover waren schon bis 1866 ziemlich gespannt und in der Weimarer Zeit aufgrund der dort vertretenen Niedersachsen-Idee recht distanziert. Jetzt sah man sich Hannover regelrecht ausgeliefert. Der 1948 gegründete Oldenburgische Landesbund kämpfte gegen die „planmäßige Entrechtung“ Oldenburgs, die Stadt, meinte man,sei ebenso lebensfähig wie Niedersachsen, das doch auch nur „Kostgänger des Bundes“ sei.
Am 19. Januar 1975 verlangte ein erfolgreicher Volksentscheid sogar die Wiederherstellung des Landes Oldenburg. Für die Landesregierung in Hannover war das eine riesige Blamage, zumal sie mit ihrer Kreisreform der Abstimmung einen rechten Schub gegeben hatte. Mit der Selbstständigkeit wurde es allerdings nichts und nach der Auflösung der Regierungsbezirke in Niedersachsen stellt sich nun die Frage: Was bleibt von Oldenburg?
Vom der „Oldenburgischen Landschaft“ wird das „ausgeprägte oldenburgische Heimatgefühl“ hervorgehoben. Das ist nicht unproblematisch, denn der milde Schleier der Heimatliebe überdeckt die Brüche und Schandflecken, die 80 Prozent NSDAP-Wähler in der Stadt Varel von 1933 ebenso wie die 37 Prozent für die rechtsextreme Sozialistische Reichspartei bei der Landtagswahl 1951 in Dötlingen.
Der Blick in die Geschichte kann da Zukunftsfähigeres zu Tage fördern: die oldenburgische Gelassenheit und Unaufgeregtheit, den konservative Grundzug den man in aufgeregter Zeit bewiesen hat, ebenso den fairen Umgang mit dem politischen Gegner, den man sich für die Zeit vor 1932 und nach 1945 bescheinigte. In Oldenburg empfand man sich auf einer „Insel der Freiheit“ im preußischen Meer und die „oldenburgische Freiheit“ und „Liberalität“ waren weit gerühmt. Das meinte einmal den anderen akzeptieren so wie er ist, ein andermal nach bestem Wissen und Können über die eigenen Geschicke entscheiden.
Mit Mut und einer gewissen Sturheit haben die Oldenburger dies verteidigt. Ein Beispiel dafür ist die Oldenburger Volkserhebung gegen das NS-Regime, als ihnen 1936 die Kruzifixe und Lutherbilder aus den Schulen genommen werden sollten und man aus dem katholischen Süden des Landes den Minister unter Druck setzte, bis ins Dienstzimmer hinein. Auch kennt die Geschichte mehrere oldenburgische Politiker, die Gewissensfreiheit für sich in Anspruch nahmen: 1952 Bundestagspräsident Hermann Ehlers, der eine DDR-Volkskammer-Delegation empfing, 1973 Gerd Glup, bekennender Katholik, der wegen der Schulbestimmungen als einziger im Landtag gegen die Konkordatsänderung stimmte. 1990 war es Staatssekretär Manfred Carstens, der wegen der Fortgeltung der DDR-Abtreibungsregelungen gegen den Vereinigungsvertrag stimmte und 1993 Clemens August Krapp, der im Landtag die einzige Gegenstimme gegen die neue Verfassung abgab, weil sie keinen Gottesbezug enthielt und damit den Anstoß zu einem erfolgreichen Volksbegehren gab.
Den Wert der „Oldenburger Freiheit“ hatte Theodor Tantzen so beschrieben: „Wenn der Staat alles regelt, dann gibt es keine freien Menschen mehr.“ Die gefährliche Folge sei dann, dass „alle Menschen immer weniger Recht und Unrecht unterscheiden können“, wie man dies unter dem NS-Regime bereits erlebt habe.
Das Oldenburger Stadtmuseum zeigt bis 2. November die Ausstellung „Zeit-Räume“ zum 900. Namensjubiläum