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Archiv-Artikel

Das Pflaster braucht Farbe

In Neukölln gibt es nicht viel, wo sich Jugendliche treffen können. Und im Einkaufszentrum rumzuhängen ist auchschon langweilig. Nun wollen die Kids die Rütlistraße erobern. Sie soll zur bundesweit ersten Jugendstraße werden

von BARBARA SCHÄDER

Die dominierende Farbe der Rütlistraße ist Grau. Schiefergrau ist die große Hauptschule am Straßeneingang, weißgrau die Realschule daneben, mausgrau die leer stehende Villa dahinter. Daneben liegt ein Gewerbehof mit Schrottplatz.

Nur ein Gebäude hebt sich wohltuend von der tristen Umgebung ab. Es ist knallbunt bemalt, und aus der Wand springt ein Pappmaché-Tiger: Das Wahrzeichen des Jugendklubs „Manege“. Dieser Farbtupfer soll sich ausbreiten. Die Betreiber des Klubs wollen zusammen mit Jugendlichen die ganze Straße erobern – sie soll zur ersten Jugendstraße bundesweit werden.

In der „Manege“ sitzen der 17-jährige Saruth und sein Mitschüler Markus vor einer Karte des Bezirks Neukölln. Auch sie ist grau mit wenigen bunten Flecken: Die beiden Zehntklässler haben mit Farbe markiert, wo sie sich nachmittags mit ihren Freunden treffen. Vier Punkte sind es, verstreut zwischen Landwehrkanal und Karl-Marx-Straße: neben dem Jugendklub ein Internet-Café, ein Einkaufszentrum – und die Moschee. Dort gibt es für die vielen muslimischen Jugendlichen im Kiez einen weiteren Klub.

Das Angebot reicht nicht, meint Markus: „Viele Jugendliche, die niemanden mit nach Hause bringen können, weil es bei ihnen zu voll ist oder so, hängen im Einkaufszentrum rum und machen da gar nix, außer Blödsinn.“ Markus und Saruth sind hier, um das zu ändern. Jeden Donnerstag kommen sie zum Planungstreffen mit Mitarbeitern des Vereins Fusion, der das Projekt Jugendstraße betreut.

Die Ziele sind ehrgeizig: Ein selbst verwaltetes Straßencafé soll eingerichtet, die leer stehende Fabrikantenvilla am Ende der Straße zu einem Jugendhotel umgebaut werden. Alles unter Beteiligung der Kids aus der Umgebung: „Wir wollen Kinder und Jugendliche motivieren, in ihrem eigenen Lebensumfeld aktiv zu werden“, sagt Fusion-Vorstand Wolfgang Janzer. Ein wichtiges Anliegen in einem Viertel, in dem viele Kinder bereits als Sozialhilfeempfänger aufwachsen, findet Quartiersmanagerin Vera Bethge. Dieses Argument hat sogar die klamme Senatsverwaltung für Stadtentwicklung überzeugt. Insgesamt 170.000 Euro aus dem Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“ steckt sie in das Projekt.

Zum letzten Treffen vor Weihnachten sind allerdings nur vier Jugendliche erschienen. Eine Straßenbegehung ist angesagt – damit die Visionen ein bisschen konkreter werden.

Die Jugendstraße soll autofrei sein, aber nicht abgesperrt. Stattdessen sollen bunt gestaltete Torbögen an beiden Enden der Straße signalisieren, das dazwischen etwas Besonderes liegt. „Das Tor könnte zum Beispiel wie eine Figur mit ausgebreiteten Armen aussehen“, schlägt Markus vor.

Aber was soll dahinter eigentlich genau stattfinden? „So Inseln mit Grünzeug und Bänke. Oder vielleicht ein Springbrunnen“, meint Giso. Und natürlich müsse der Bolzplatz interessanter werden. Über den beschweren sich die Anwohner allerdings jetzt schon: Im Sommer werde dort noch nachts um zwei Basketball gespielt, klagten sie bei der ersten Bürgerversammlung zum Projekt.

Für Markus ein klarer Fall: „Abends ab 22 Uhr wird der Platz abgesperrt, und oben drüber kommt ein Gitter, damit niemand mehr über den Zaun steigt.“ Auch auf die Kleingärtner am hinteren Ende der Straße will er Rücksicht nehmen: „Daneben kommt eine Chill-out-Area.“

Damit ist allerdings erst die Hälfte der Straße verplant, 150 Meter liegen noch vor der kleinen Truppe. Der schmuddelige Gewerbehof mit seinen Garagen und die leere Villa nebenan regen nur Fusion-Mitarbeiterin Martha Galvis de Janzer zum Schwärmen an: Sie sieht schon das geplante Jugendhotel vor sich, mit Gästen aus aller Welt und Ausbildungsplätzen für die Einheimischen. Giso hat Zweifel: „Wer soll hier denn herkommen?“

Noch stemmt sich der gegenwärtige Pächter gegen einen Umbau. Zudem müsste dafür zusätzliches Geld beschafft werden: Die Zuschüsse des Senats sind nur für die Neugestaltung der Straße gedacht. Ausgezahlt werden sie dann, wenn die Pläne der Jugendlichen auch bei den Anwohnern auf Anklang stoßen.

„Ich seh das Projekt schon als große Chance, denn diese Straße ist wirklich tot“, fasste Jugendklub-Nachbar Christian Liebhaar die Stimmung bei der Bürgerversammlung zusammen. Aber er hat auch Bedenken: Probleme machten vor allem die Jugendlichen, die nicht in den Jugendklub gehen – und folglich auch nicht bei der Straßenplanung mitmachen. Diese Gruppe in das Projekt einzubinden dürfte die größte Herausforderung sein.