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Archiv-Artikel

Angriffe auf Christen in Indien

Radikale Hindus wollen mit Attacken gegen Christen und ihre Kirchen den Glaubenswechsel niedrigkastiger Gläubiger verhindern. Dahinter steht die Angst vor Macht- und Wohlstandsverlust

AUS DELHI SASCHA ZASTIRAL

Die Pogrome gegen Christen in Indien reißen nicht ab. Seit knapp drei Wochen stürmen immer wieder bewaffnete Männer mit safranfarbenen Stirnbändern im ostindischen Bundesstaat Orissa christliche Viertel und Dörfer. Die Hindufanatiker zerstören Kirchen, plündern Häuser und greifen Menschen an. Dabei skandieren sie „Indien gehört den Hindus!“, „Tötet die Schweine!“ oder „Konvertiert oder sterbt!“, berichten Flüchtlinge aus der Region.

Erst am Samstag wurden mindestens zwei Menschen bei Schusswechseln mit Sicherheitskräften getötet und acht weitere verletzt, als 500 radikale Hindus im besonders schwer betroffenen Kandhamal-Distrikt eine Kirche zerstörten und das Haus eines Dorfbewohners in Brand steckten. Die Menge war offenbar auf der Suche nach dem Dorfvorsteher, der zum Christentum übergetreten war. Inzwischen wurden 80 Kirchen und Gebetshäuser niedergebrannt, 1.400 Häuser zerstört und etwa zwei Dutzende Menschen ermordet. Mehr als 13.000 Menschen haben in Flüchtlingslagern Schutz gesucht.

Die offenbar von langer Hand geplanten Übergriffe weiten sich nun auf weitere Landesteile aus. Im südindischen Bundesstaat Karnataka griffen Anhänger des militanten Bajrang Dal am Sonntagmorgen innerhalb weniger als einer halben Stunde 14 Kirchen an. Sie zerstörten das Inventar und prügelten auf Menschen ein, die sich nicht rechtzeitig in Sicherheit gebracht hatten.

Die radikalen Hindus werfen christlichen Organisationen vor, sie würden Anhänger niedriger Hindukasten „bestechen“, um zum Christentum zu konvertieren. Karnataka ist seit kurzem der erste südindische Bundesstaat, in dem die hindunationalistische Indische Volkspartei (BJP) die Regierung stellt. Sie steht dem Bajrang Dal und anderen fanatischen Hindugruppen ideologisch nahe. Dementsprechend verurteilte die Landesregierung die Übergriffe nur knapp und schloss sich stattdessen den Vorwürfen der Fanatiker an, es seien „illegale Glaubenswechsel“ erfolgt. Übertritte zu anderen Religionen und Missionsarbeit sind in Indien erlaubt, dürfen aber nicht unter Druck erfolgen oder mit Geldanreizen verbunden sein.

Die Pogrome in Orissa begannen am 23. August. Zuvor hatten Unbekannte Laxmanananda Saraswati getötet, ein hochrangiges Mitglied des radikalen „Welthindurates“ (VHP). Mehrfach hatten sich maoistische Rebellen zu dem Mord bekannt, weil Saraswati Menschen zu „religiösem Hass“ angestachelt habe. Dennoch unterstellte der VHP, Christen hätten ihren Anführer ermordet. Die Ausschreitungen nahmen ihren Lauf.

Es ist nicht die erste Gewaltwelle gegen Christen in Orissa. Während der Weihnachtsfeiertage 2007 wüteten Mobs in christlichen Dörfern und töteten mehrere Menschen. Vor neun Jahren verbrannten Hinduextremisten in der Region einen ausländischen Missionar und seine zwei Söhne bei lebendigem Leib.

Der Konflikt hat eine starke wirtschaftliche Komponente. Denn besonders häufig treten Anhänger der niedrigsten Hindukasten und Adivasi, die Ureinwohner Indiens, zum Christentum über. Ihm gehören in Indien nur 2,3 Prozent der Bevölkerung an. Christen profitieren von kirchlichen Wohlfahrtsprogrammen und können ihre Kinder in christlichen Schulen ausbilden lassen, was sich viele sonst kaum leisten könnten. Das Bildungsniveau an diesen Schulen ist verglichen mit den staatlichen relativ hoch. Die Unterrichtssprache ist häufig Englisch. Viele Absolventen haben somit Zugang zu einem Hochschulstudium und gut bezahlten Posten in Indiens boomender urbaner Wirtschaft.

Daher steigen aus den niedrigsten Hindu-Schichten zum Christentum Konvertierte oft gesellschaftlich auf, während selbst hochkastige Dorfbewohner in Armut gefangen bleiben – aus hinduistischer Sicht ein Skandal. Sozialneid und die wachsende Schere zwischen Arm und Reich dürften die Spannungen künftig weiter verschärfen.