: Das Land ist ein Waffenlager
von DOMINIC JOHNSON
Deutlicher kann ein Hilferuf kaum sein. „Die Bevölkerung Zentralafrikas leidet, weint und begräbt ihre toten Söhne und Töchter in der Stille, weit weg von den Kameras der westlichen Länder“, schrieb die Bischofskonferenz der Zentralafrikanischen Republik in ihrer Silvesterbotschaft. „Bewaffnete haben die Zivilbevölkerung als Geisel genommen. Wir können nicht schweigen. Wir appellieren an die Solidarität der Welt.“
Nun ist es nicht so, dass die Welt sich für die Zentralafrikanische Republik nicht interessieren würde. Im Gegenteil: Viel zu viele Machthaber engagieren sich für das riesige, kaum erschlossene Land im Herzen Afrikas. Libyen, Tschad, Sudan, Kongo, Gabun sind militärisch beteiligt, Bergbauunternehmen aus Kanada sind ebenso interessiert wie Söldner aus Frankreich. Die Zentralafrikanische Republik ist zum Epizentrum eines neuen, transnationalen Krieges um Macht und Ressourcen in Afrika geworden.
Die Regierung von Präsident Ange-Félix Patassé kontrolliert kaum mehr als die Hauptstadt und die wichtige Überlandstraße nach Kamerun. Der Großteil der Armee des Landes ist in den Aufstand getreten, und der ehemalige Armeechef François Bozizé hat aus ihr eine Rebellenbewegung geschmiedet, die den Norden des Landes beherrscht. Im fast völlig unbewohnten Osten sind Banditen und Straßenräuber aktiv.
Staatliche Autorität gibt es nirgendwo im Land. Patassé verlässt sich beim Kampf gegen die Rebellion auf ausländische Verbündete. Seit Anfang 2002 beschützte eine Eingreiftruppe aus Libyen, Sudan und Dschibuti den Staatschef. Sie soll Ende Dezember zumindest zum Teil abgezogen sein, und eine Eingreiftruppe aus Gabun, Kongo-Brazzaville und Äquatorial-Guinea soll ihren Platz einnehmen. Als „Antiterrorberater“ Patassés fungiert der französische Söldnerveteran Paul Barril. Und an der Front kämpfen für Patassé kriegserprobte Rebellen aus der Demokratischen Republik Kongo: Die MLC (Kongolesische Befreiungsbewegung), die in der ehemaligen Urwaldresidenz Gbadolite des toten Diktators Mobutu residiert, hat bis zu 3.000 Kämpfer entsandt und wird von Libyen aufgerüstet, unabhängig vom Abzug der Libyer aus Bangui.
Auch bei den Aufständischen spielen Nachbarländer eine wesentliche Rolle. Der zentralafrikanische Rebellenchef Bozizé hat sein Hauptquartier in der Stadt Sarh im Tschad und genießt offensichtlich die Unterstützung der dortigen Regierung. An der Kriegsfront hat Bozizé, der wie Patassé aus dem Norden der Zentralafrikanischen Republik stammt, sich mit Anhängern des 1993 abgewählten und heute exilierten Militärdiktators André Kolingba aus dem Süden des Landes zusammengetan. Finanzier der Rebellion soll der Geschäftsmann Sani Yalo sein, der früher Patassés Wahlkämpfe finanzierte und nach dem Auffliegen fiktiver Ölimporte nach Kamerun floh.
Am 7. Dezember vereinbarten die Rebellen und zivile Oppositionelle im Exil erstmals ein formelles Bündnis. Sie kritisierten das „Elend und Leiden“ der Bevölkerung und riefen zum gemeinsamen Kampf gegen „Milizen und Söldner“ auf. Dialog, wie von Patassé vorgeschlagen, lehnten sie ab.
Patassé sieht sich demgegenüber als erster demokratisch gewählter Präsident seines Landes. Doch er hat den Staatszerfall, der unter der brutalen Herrschaft des „Kaisers“ Bokassa in den 70er-Jahren begann, nicht aufgehalten, im Gegenteil, wie seine Gegner meinen. „Patassé ist zu Kompromiss und Konzessionen unfähig“, schrieb kürzlich die zentralafrikanische Zeitung Le Citoyen. „Das Land ist ein riesiges Waffenlager geworden und damit ein Pulverfass.“
Korruption, Rechtlosigkeit und Denunziantentum haben nach Meinung aller Oppositioneller ein gigantisches Ausmaß angenommen. Nach unabhängigen Schätzungen werden vier Fünftel der zentralafrikanischen Staatseinnahmen regelmäßig veruntreut. Das Hauptexportgut Diamanten dient vor allem der persönlichen Bereicherung: die offiziell gemeldete Jahresproduktion beträgt etwa 600.000 Karat, aber allein im belgischen Antwerpen werden jährlich eine Million Karat zentralafrikanische Diamanten gehandelt. Im Juli 2002 wurde der Finanzminister verhaftet, als herauskam, dass er zum privaten Profit fiktive Staatsschuldscheine verkauft hatte – allein im Dezember 2001 für umgerechnet 760.000 Euro.
Die Zahlung regelmäßiger Beamtengehälter wurde im April 2000 eingestellt, ausländische Finanzhilfen versiegten im Januar 2001. Nach Schätzungen leben heute 35 Prozent der Bevölkerung vom informellen Handel am Rande der Städte; 55 Prozent auf dem Land von der Subsistenzwirtschaft.
Seit Bozizés Rebellen Ende Oktober beinahe die Hauptstadt Bangui einnahmen und nur 500 Meter von Patassés Residenz entfernt an Libyern und Kongolesen scheiterten, ist der Krieg dramatisch eskaliert. Weniger als 100 Kilometer von der Hauptstadt entfernt toben regelmäßig schwere Kämpfe. Besonders brutal sind dabei die MLC-Krieger aus dem Kongo; sie plündern Städte, vergewaltigen Frauen und Kinder. „MLC-Truppen haben den Hilfswerken mitgeteilt, dass sie von der zentralafrikanischen Regierung keine Befehle annehmen, nur von Präsident Patassé direkt oder MLC-Behörden“, heißt es im jüngsten UN-Lagebericht.
Solche Zustände sind typisch für Afrikas Kriege – aber der Konflikt in der Zentralafrikanischen Republik ist mehr. Im Kern geht es um die zukünftige Kontrolle des vermuteten Gürtels riesiger Ölreserven, die sich vom Süden des Tschad über den Norden der Zentralafrikanischen Republik bis nach Südsudan, Nordostkongo und Uganda erstrecken. Wer diese Gebiete kontrolliert, entscheidet über Afrikas zukünftige Milliardengeschäfte.
Das erste Geschäft läuft bereits. In diesem Jahr soll ein US-geführtes Konsortium die Ölförderung im Süden des Tschad aufnehmen. Aus der Nähe der Stadt Doba wird eine Pipeline das Öl nach Kamerun zum Export transportieren; ihr Bau ist das derzeit größte einzelne private Investitionsprojekt in Schwarzafrika, und die Ausweitung der Ölförderung in dieser Region ist für die USA von hohem strategischem Wert. Libyen und Kongos Rebellen geraten durch ihre Allianz mit Patassé in gefährliche Nähe zu Tschads Öl – vor allem, wenn sie die frühere französische Militärbasis von Bouar mit ihrer einst hervorragenden, für Militärinterventionen in Nachbarländern konzipierten Infrastruktur kontrollieren können.
Die Regierung der Zentralafrikanischen Republik unterstützt bereits Rebellen im Süden des Tschad. Sie ist zugleich davon überzeugt, dass es eigentlich auf ihrer Seite der Grenze viel mehr Öl gibt als im Tschad und dass die Bozizé-Rebellion ein Versuch des Tschad ist, den Norden der Zentralafrikanischen Republik zu annektieren.
Libyen bohrt seit kurzem in der Zentralafrikanischen Republik nach Öl, und die Regierung Patassé erteilte Libyen im Juni 2002 ein Recht zur umfassenden Bergbauprospektion. Dies ärgert wiederum westliche Firmen, denen Präsident Patassé dieses Recht auch schon mal verkauft hat. Die kanadische Mineralienfirma „Vaaldiam“ hat nach eigenen Angaben das Erstzugriffsrecht auf alle alluvialen Diamantenvorkommen der Zentralafrikanischen Republik. Der texanische Ölmagnat Jack Grynberg wiederum hat behauptet, dort Öl entdeckt zu haben. Nach unbestätigten Berichten vereinbarten libysche und zentralafrikanische Oppositionelle im November, nach einem Regimewechsel in Bangui Ölkonzessionen an die USA zu vergeben.
So werden Konflikte gesät, die jeden Friedensprozess untergraben könnten. „Entweder versinkt das Land in ethnische Konflikte oder in einen Bürgerkrieg, der das Tor zur Hölle öffnet“, kommentierte am 30. Dezember die Zeitung Le Confident. Und von Regierungsseite wird ein anderes Szenario beschworen: Der Sturz Mobutus in Zaire durch den vom Ausland unterstützten Rebellenchef Laurent Kabila 1997 – Auftakt zu einem blutigen regionalen Krieg, der der Zentralafrikanische Republik als düsteres Vorbild dienen könnte.