: Auf der Lauer liegt ‘ne kleine Wanze
Das Hamburger Verfassungsschutzgesetz: Heftige Proteste vieler Berufsgruppen konnten nur die schwersten Eingriffe in die informationelle Selbstbestimmung abwehren. Der allgemeine Schnüffelstaat aber arbeitet weiter im Geheimen
von KAI VON APPEN
Die kontroverse Debatte um das Hamburger Verfassungsschutzgesetz scheint beendet. Für den Geheimdienst- und Polizeirechtsexperten beim Hamburger Datenschutzbeauftragten, Harald Wollweber, ein Grund, zum Jahreswechsel ein positives Fazit im Zank um die künftigen erweiterten Geheimdienstbefugnisse zu ziehen. „Es hätte schlimmer kommen können“, sagt er nüchtern. „Wir haben deutliche Verbesserungen im Sinne des Datenschutzes durchgesetzt.“
So sind die Hürden für den „Großen Lauschangriff“ durch den Verfassungsschutz (VS) nach heftigen Protesten hoch gesetzt und die „akustische und optische Überwachung“ von Berufsgeheimnisträgern sogar weitgehend abgewehrt worden. Selbst eine Integration des VS in Polizeiaufgaben in Bereich der so genannten Organisierten Kriminalität (OK) scheint vom Tisch. Im Gegenzug wurden den Datenschützern sogar weitreichende Kontrollbefugnisse bei Eingriffen in das Bank-, Reise- und Fernmeldegeheimnis eingeräumt. Trotzdem werden Eingriffe in Grundrechte der BürgerInnen an der Tagesordnung sein.
Draußen vor der Tür
Denn dem VS stehen mit dem im Dezember verabschiedeten Gesetz enorme Befugnisse zu. So wurde zwar der Große Lauschangriff auf Berufsgeheimnisträger – Journalisten, Strafverteidiger, Ärzte, Pastoren und Abgeordnete – in Hamburg gekippt. Deshalb ist das Filmen und Abhören in Privatwohnungen und Diensträumen weiterhin verboten, sofern der Betreffende nicht im Verdacht steht, selbst an Straftaten beteiligt zu sein. Doch schon vor der Tür hört der vom Bundesverfassungsgericht definierte „Schutz der Wohnung“ auf: Es lauert der staatliche Mithörer.
„Der Einsatz von Wanzen am Pkw, das Abhören von Dienstgesprächen auf dem Privathandy oder die Observation mit Richtmikrophonen sind davon nicht betroffen“, erinnert Wollweber. „Das Dienstfahrzeug ist laut Bundesverfassungsgericht keine Wohnung. Die verfassungsrechtliche Sonderbehandlung greift hier nicht.“ Zudem sei durch die bundesweite Anti-Terror-Gesetzgebung auch das Lokalisieren von Handys sowie die Registrierung von „Verbindungsdaten“ der Telefonteilnehmer durch den VS erlaubt. „Journalisten sind da als Berufsgeheimnisträger im Gegensatz zu Abgeordneten explizit ausgenommen worden“, sagt Wollweber. „Das wollten sich die Ermittlungsbehörden nicht nehmen lassen.“
Die „Eingriffsschwelle“ für VS-Aktivitäten ist nach Auffassung Wollwebers im Vergleich zu den Plänen in der Tat hoch geschraubt worden: „Es genügt kein vager Anfangsverdacht, es bedarf tatsächlicher Anhaltspunkte.“ Doch dies müsse keine „Gefahr im polizeirechtlichen Sinne sein“. So könnte schon die so genannte „militante Kleinstgruppe“ oder der „extremistische Einzeltäter“ und seine Bekannten ins Visier geraten, die Schienen auf der Castor-Strecke blockieren, auch wenn sie juristisch niemals als „terroristische Vereinigung“ eingestuft werden könnten. Zwar gebe es auch im neuen VS-Gesetz Barrieren, doch dieser Paragraphendschungel sei durch die „Verweisungstechniken und Verweisungsmechanismen“ äußerst schwer durchschaubar.
Teilweise wird auf Paragraphen in mehreren Gesetzen (G 10, StPO) verwiesen, als Eingreifschwelle werden unterschiedlich interpretierbare Definitionen genannt: „Mittelbare Gefahr“, „bevorstehende Gefahr“, „dringende Gefahr“, „konkreter Verdacht“, „dringender Verdacht“ „tatsächlicher Verdacht“ sind Begriffe, die mehr vernebeln, als sie klären. Für Eingriffe in die Privatsphäre durch Lauschen und Filmen in der Wohnung bedarf es zwar weiterhin eines richterlichen Beschlusses, der ist aber oft nicht viel wert. „Der Richter ist auf die Akten der Stelle angewiesen, in diesem Fall des Verfassungsschutzes, die die Maßnahme begehrt“, betont Wollweber.
Dehnbare Definitionen
Doch eigentlich müsste der Richter die Maßnahme die ganze Zeit lang begleiten. Wann eine Kontaktperson zu einem potenziellen Verdächtigen ins Visier des Inlandgeheimdienst genommen werden kann, wird wohl in Zukunft eine Frage der Definition sein.
Wollweber freut sich daher, dass in diesem Zusammenhang den DatenschützerInnen ein Coup gelungen ist. Da die eigentliche „G10-Kontrollkommission“ ihrer Aufgabe der Geheimdienstkontrolle nicht gerecht werden kann, ist dem Datenschutzbeauftragten als Behörde in Hamburg gewährt worden, sowohl im Einzelfall anonymisiert bestimmte Lauschangriffe zu überprüfen, als auch die im rot-grünen so genannten Otto-Katalog II und im neuen VS-Gesetz eingeführten Instrumentarien (Kommunikations-, Bank-, Reise-Überwachung) zu hinterfragen. „Wir möchten sicherstellen, dass aus neutraler und sachkundiger Sicht eine Kontrolle stattfindet“, sagt Wollweber, „das ist eine deutliche Abweichung vom Bund und eine stärkere Stellung des Datenschutzbeauftragten.“
Was das neue VS-Gesetz tatsächlich bringt, kann der Verfassungsschutzexperte nur ahnen. „Das muss die Praxis belegen“, so Wollweber. Er warnt davor, wieder in Lethargie zu verfallen. „Es gab eine heftige und lebhafte Diskussion und fast täglich eine intensive und kritische Berichterstattung in den Medien, und das wird sich sicherlich in der Gesetzanwendung fortschreiben“, glaubt Wollweber und hofft, dass es vorerst zu keinen Abhör- und Lauschexzessen wie in den siebziger Jahre kommt.