piwik no script img

Archiv-Artikel

Kabila verliert im Ostkongo an Boden

Erneut herrscht Krieg zwischen der Regierung in Kinshasa und den Rebellen des Tutsi-Generals Laurent Nkunda, und auch dieses Mal sind die Rebellen stärker. Der Staat antwortet mit Hasspropaganda gegen Ruanda und ist hilflos

GOMA taz ■ Joseph Kabila kam heimlich. Die Ankunft des kongolesischen Staatschefs in der Metropole Goma, in deren Umgebung heftig gekämpft wird, am vergangenen Samstag erfolgte so diskret, dass sie erst durch SMS-Nachrichten von Taxifahrern bekannt wurde. Als am Montag Parlamentspräsident Vital Kamerhe folgte, wollten die lokalen Behörden Begrüßungskomitees aus jubelnden Massen zusammenstellen, aber nur sechs Menschen fanden sich ein, und der Jubel wurde abgeblasen.

Kabila, Kamerhe und Diplomaten führen in der Hauptstadt der ostkongolesischen Provinz Nord-Kivu Krisengespräche, damit die vor knapp drei Wochen neu ausgebrochenen Kämpfe zwischen Regierungstruppen und Rebellen des Tutsi-Generals Laurent Nkunda nicht in einen neuen, verheerenden Krieg ausarten. Seit dem 28. August sind Nkundas Rebellen der CNDP (Nationalkongress zur Verteidigung des Volkes) wieder einmal aus ihren Hochburgen in den Bergen herunter auf dem Vormarsch. An mehreren Stellen schlugen sie plündernde Regierungssoldaten in die Flucht, bevor sie am 11. September einen Rückzug auf ihre ursprünglichen Positionen ankündigten. Aber seit Montag wird erneut gekämpft.

Die neuen Kämpfe sollen 50.000 bis 100.000 Menschen in die Flucht getrieben haben, womit knapp 1 Million der 5 Millionen Einwohner Nord-Kivus jetzt Flüchtlinge wären. Der letzte Krieg zwischen Nkunda und Kongos Regierung Ende 2007 endete mit verheerenden Niederlagen der Regierungsarmee. Daraufhin wurde im Januar 2008 bei einer Konferenz in Goma ein Friedensprozess vereinbart, der die allmähliche Entwaffnung aller bewaffneten Gruppen beinhaltete. Umgesetzt wurde das nur schleppend. Die Kontrahenten blieben auf ihren Positionen; die Flüchtlinge blieben in ihren Lagern; die Teilung der Provinz verfestigte sich. Im Sommer kam es mehrmals zu Zusammenstößen, und Ende August ging Nkunda in die Offensive, nachdem die Regierung Truppenverstärkungen geschickt hatte.

Militärisch sind die Kämpfe weniger heftig als vor einem Jahr, aber ihre politische Wirkung ist viel verheerender. Nkunda wirft Kongos Regierung vor, die ruandischen Hutu-Milizen der FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) zu schützen, die von Tätern des ruandischen Völkermordes geführt werden, den Krieg gegen die Tutsi predigen und im Ostkongo mit Teilen der Armee zusammenarbeiten.

Zugleich wird in Ruanda eine Zunahme von Gewaltakten gegen Tutsi gemeldet. Ein Augenzeuge aus einer FDLR-Hochburg berichtete in Goma, Milizionäre hätten ihm gesagt, sie seien dabei, einen „großen Coup“ vorzubereiten. Ruandas Präsident Paul Kagame sagte vor einer Woche in einem Interview, Kabila schüre den Krieg, ihm sei nicht mehr zu trauen. Dies wurde im Kongo als Kriegserklärung gewertet.

Eine Explosion staatlicher Hasspropaganda im Kongo lässt das Schlimmste befürchten. Im Staatsfernsehen RTNC lief am Freitag eine dreistündige Sendung voll Beschimpfungen Ruandas und ruandischstämmiger Kongolesen. Bilder von Ruandas Völkermord 1994 wurden kommentiert: „Das ist, wie wir mit diesen Leuten umgehen sollten.“

Vor Kabila war Kongos Verteidigungsminister Chikez Diemu in Goma. Sein Versuch, die Front zu besuchen, endete nach 30 Kilometern aus Sicherheitsgründen. Stattdessen zeigte ihm die UN-Blauhelmmission Videoaufnahmen fliehender Regierungssoldaten. Verärgert lobte er danach vor lokalen Journalisten den „Patriotismus“ der Bewohner der Kleinstadt Rutshuru 80 Kilometer nördlich von Goma, die aus Protest gegen das Nichteingreifen der UN-Blauhelme UN-Fahrzeuge angezündet hatten. Prompt kam es auch in Goma zu gewaltsamen Demonstrationen gegen die UNO. Das war nicht unbedingt geeignet, sie zum Eingreifen zugunsten der Regierung zu bewegen. Die internationale Gemeinschaft ist heute viel zurückhaltender als vor einem Jahr, was Kongos Regierung angeht. Man hat begriffen, dass die undisziplinierte Armee den Ostkongo nicht halten kann. Aber den Schritt, Nkundas Forderung nach Direktverhandlungen zwischen ihm und der Regierung nachzukommen, gehen die Diplomaten noch nicht. In Goma wird derweil offen die Möglichkeit diskutiert, dass die Rebellen die vollständige Kontrolle übernehmen. DOMINIC JOHNSON