: Die Jury und ihr Herz aus Eis
aus Berlin WALTRAUD SCHWAB
„Cool ist, wer was Uncooles tut“, sagt eine Schlachtenbummlerin auf dem einzigartigen Event vom Wochenende: dem Grand-Prix-Slam von taz und Polydor, auf dem der Sieger des offenen Textwettbewerbs für das Lied gekürt wurde, mit dem die Hamburger Sängerin Senait in den Grand Prix ziehen wird. Cool/uncool – wie sie das meine? „Wenn einer Bild liest, ist er cool, weil Bild lesen uncool ist.“ Das gelte nun eben auch für die taz. Deshalb sei sie hier. Oberuncool sei der Grand Prix. Ergo ist die taz endlich obercool. Alles klar?
Die taz goes Schlager. Dass die einzige „linke, alternative Tageszeitung“ bisweilen trashig ist, ist für niemanden neu, der sie liest und ihr in Hassliebe verbunden ist. Dass die taz sich dazu bekennt, das müssen einige noch schlucken. Nicht die 500 Leute, die in den Fritz-Fischer-Club im Domizil von Universal in Berlin gekommen sind. Dort wird über die 14 Texte, die es von 803 eingesandten Beiträgen in die Endrunde geschafft haben, befunden.
„I can’t believe its true“
„Toll, dass die taz das macht“, ist im heterogenen Jung-Alt-Publikum zu vernehmen. Durch so eine Aktion werde dem Grand Prix eine populäre Plattform gegeben. Von „demokratisch“ ist die Rede. Endlich habe auch „der kleine Mann“ eine Chance, „reich und berühmt“ zu werden. „Kunst hat es noch nie gut getan, demokratisch zu sein“, wendet ein Nörgler dagegen ein. „Dabei kommt nur Mittelmaß raus.“ Nicht so kategorisch sieht das ein Architekt und Hobby-Songschreiber, dessen Text an der Vorjury scheiterte. Er hat gerne mitgemacht, auch wenn ihm klar ist, dass sein Werk zu anspruchsvoll ist und deshalb rausfiel. „Wenn man meinen Text genau liest, geht es um die Trennung der westlichen Welt von der Dritten Welt. Alles verpackt in ein Liebeslied, wo einer den anderen nicht erreicht“, erklärt er. Aber wer liest schon genau. Der Refrain des abgelehnten Songs: „At night I am thinking of you / I can’t believe its true / I am always trying to get through / through the borders of all fools.“
In der Zwischenzeit haben sich Sängerin Senait und die sechs Juroren aufs Podium begeben. Die Moderatorinnen Sarah Kuttner (Viva) und Pia Castro (Radio Multikulti), Theater- und Drehbuchautor Klaus Chatten sowie Musikproduzent Carsten Pape („Clowns & Helden). Außerdem taz-Chefredakteurin Bascha Mika sowie die grüne Bundestagsabgeordnete Claudia Roth, die früher die Band Ton Steine Scherben gemanagt hat. Zur Einstimmung werden vier Beiträge vorgelesen, die die Vorjury nicht durchgehen ließ. Die Ode auf eine Wäscheleine zum Beispiel und jene auf den Müllermann, der im Laufe des Songs immer mehr zu Möllemann wird. Auch der schöne Traum, in dem einer zum Star wurde, weil er den Grand Prix gewonnen hat, fiel durch.
Untermalt von der Melodie werden die Texte, die bereits in der Silvesterausgabe der taz abgedruckt waren, von Schauspieler und Schauspielerin vorgetragen. Ein Event auf hohem literarischem Niveau ist es nicht. Wohl aber eine humorvolle Veranstaltung, weil die Jury sich radikaler Spontanität hingibt. Von „Liebessong-Dreck“, Beziehungsquatsch und melodramatischen One-Night-Stands spricht Sarah Kuttner. Pia Castro bringt das Publikum zum Lachen, als sie dem auf Französisch verfassten Beitrag „L’amour après l’amour“, die Liebe nach der Liebe, zu wenig deutsche Leitkultur bescheinigt. Karsten Pape gibt zum Besten, dass es ein „Labyrinth der Emotionen“ in Bayern nicht gebe.
„Was soll der Quatsch?“
Claudia Roth wiederum nimmt sich mit ihrer bekannten Leidenschaftlichkeit der Gefühlsergüsse an und toppt sie. „Die Strömung zieht mich zu dir“, heißt es in einem Text. „Eine Strömung zieht doch weg, was soll der Quatsch“, so Roth. „Wenn du weinen willst, wein / Wenn du lachen willst, lach / Ich werde immer an deiner Seite sein“, heißt es in einem anderen Song. „Das ist mir zu sozialarbeiterisch. Die behaupten auch immer, für jemanden da zu sein, sind aber nicht bereit, etwas von sich zu geben.“ Dem Siegertitel „Herz aus Eis“, in dem so was wie „der eine trägt des anderen Last“ vorkommt, bescheinigt sie „zu viel christliches Abendland“. Claudia Roth avancierte mit ihrer Direktheit zum heimlichen Top-Act des Abends. „Die Roth hat mich angenehm überrascht“, meint einer, der am Beginn der Veranstaltung noch „O Gott, die Roth, warum nur die“, fragte.
Die Jury, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit tagt, soll sich bei der Entscheidung fast geprügelt haben, wird berichtet. Im Publikum geht es ebenfalls hoch her. Denn hier wird das Für und Wider des Schlagers an sich diskutiert. „Schlager, das weckt niederste Instinkte. Was erwartest du?“, bekommt eine zu hören, der das alles zu banal ist. „Beim Schlager gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder du ordnest dich dem System unter oder du karikierst es“, fachsimpelt ein anderer. „Schlagerdogmatiker“, bekommt der Besserwisser zu hören. Ob solcher Misstöne ist es besser, sich versöhnlich zu geben: „Toll, dass die taz als linke Zeitung, die von politischer Aufklärung lebt, am Grand Prix nicht mehr vorbei kommt“, meint einer, der eigenen Angaben zufolge ein Bassist ist. Auch Jan Feddersen, oberster Zeremonienmeister des Events und Grand-Prix-Spezialist der taz, gibt mit Nachdruck zu bedenken: „Der Grand Prix muss alle Generationen bedienen und nicht nur eine kleine In-Group. Wenn es nur für wenige ist, dann ist es Underground. Das muss endlich kapiert werden.“ Die Gespräche fördern zumindest zwei Erkenntnisse zutage. Die eine: Schlager bringen unterschiedlichste Menschen miteinander ins Gespräch. Die andere: Schlager sind Männersache. 75 Prozent der über 803 Einsendungen zum taz-Grand-Prix kamen von ihnen. Offenbar ist das der Rahmen, in dem manch ein Mann schön über Gefühle reden kann.
Nun denn: „Herz aus Eis“ heißt der Song, mit dem Senait ins Rennen geschickt wird. Mit ihrer souligen Stimme wird sie aus jedem kalten Text eines Mannes die heiße Sache einer Frau machen. Der 34-jährige Oliver Pinelli, der den Text geschrieben hat, fühlt sich unterdessen schon als „Star“. So jedenfalls steht es auf seinem schwarzen Sweat-Shirt. Eines allerdings muss man den tazlern, die das Event in Gang gebracht haben, lassen: Was hier initiiert wurde, ist kultverdächtig. Wer hätte dieser Linken so was zugetraut?