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Archiv-Artikel

Aussitzen bis zum jüngsten Bericht

Solange Berlin die eigene Position nicht erkennen lässt, bleibt offen, was mit der „gemeinsamen Haltung“ der vier EU-Staaten im Sicherheitsrat gemeint ist

von ANDREAS ZUMACH

Nach dem Außenminister am Montag letzter Woche versucht heute der Bundeskanzler im Gespräch mit dem Spiegel eine „prinzipienfeste“ Haltung der Bundesregierung zum Thema Irakkrieg zu demonstrieren. Wie Joschka Fischer verweigert aber auch Gerhard Schröder jede Information über das mögliche (Abstimmungs-)Verhalten Deutschlands im UNO-Sicherheitsrat. Laut Schröder habe es „überhaupt keinen Sinn, solche Spekulationen anzustellen“. Denn man lege „sein Abstimmungsverhalten in einem Gremium erst fest, wenn man die Rahmenbedingungen eines solchen Abstimmungsverhaltens“ kenne. Derzeit wisse aber noch „niemand, ob es zu einer Abstimmung kommen oder worüber abgestimmt wird“.

Regierungsmitglieder und UNO-Diplomaten anderer Mitgliedsstaaten des Sicherheitsrates beweisen da weit größere Vorstellungskraft als der deutsche Bundeskanzler und sein Außenminister. Sie zeigen mehr Bereitschaft, eine eigene Position zu beschreiben. Denn so unabsehbar, wie Schröder und Fischer die deutsche Öffentlichkeit glauben machen wollen, sind die Rahmenbedingungen und Entscheidungsalternativen für die Beratungen des Sicherheitsrates in den nächsten Wochen keineswegs.

Unterscheiden lassen sich drei theoretisch denkbare Szenarien. Erstens: Der Chef der UNO-Waffenkontrollkommission (Unmovik), Hans Blix, stellt in seinem für den 27. Januar angekündigten ersten umfassenden Bericht an den Sicherheitsrat fest, dass die seit Ende November laufenden Inspektionen im Irak vom Regime in Bagdad nicht behindert wurden und dass keine verbotenen Massenvernichtungswaffen und ballistischen Raketen oder Beweise für entsprechende Rüstungsprogramme gefunden wurden. Die USA und Großbritanien legen für ihre bislang erhobenen Vorwürfe keine stichhaltigen Beweise vor und halten diese Vorwürfe nicht weiter aufrecht. Die Bush-Administration wiederholt auch ihre Bewertung von Mitte Dezember nicht, wonach der irakische Rüstungsbericht an den Sicherheitsrat wegen erheblicher Lücken und Lügen eine „gravierende Verletzung“ der Ratsresolution 1441 darstelle.

Variante 1: Krieg ist kein Thema

Bei dieser harmlosesten, aber nicht sehr wahrscheinlichen Variante stünde das Thema Krieg gegen Irak überhaupt nicht auf der Tagesordnung des Sicherheitsrates. Deutschland müsste sich hierzu nicht verhalten. Der Sicherheitsrat könnte sich problemlos darauf einigen, dass die Inspektionen der Unmovik noch so lange fortgeführt werden, bis alle ins Auge gefassten 800 Anlagen im Irak überprüft wurden.

Fast ebenso eindeutig, wenn auch in seinen Folgen viel brisanter, wäre das folgende Szenario: Blix stellt in seinem Bericht am 27. Januar fest, dass Irak verbotene Massenvernichtungswaffen besitzt und/oder entsprechende Rüstungsprogramme betreibt. Entsprechende Vorwürfe und Geheimdiensterkenntnisse der USA und Großbritanniens wurden von den Inspektoren vor Ort als zutreffend verifiziert. Daher ist der irakische Rüstungsbericht ein Lügenwerk. Käme es zudem in der Zeit bis zum 27. Januar noch zu Behinderungen der Inspektoren durch den Irak, wären die beiden in Resolution 1441 definierten Voraussetzungen für eine Feststellung des Rates erfüllt, wonach Bagdad die Resolution „gravierend verletzt“ hat.

Als sicher gilt im New Yorker UN-Hauptquartier, dass dann zumindest die USA und Großbritannien dem Rat den Entwurf einer zweiten Resolution mit einer ausdrücklichen Ermächtigung zu militärischen Maßnahmen gegen Irak zur Abstimmung vorlegen würden. Ob die Bundesregierung unter diesen Rahmenbedingungen mit Ja, Nein oder Enthaltung stimmen würde, könnte sie der deutschen Öffentlichkeit natürlich auch heute schon mitteilen.

Bei der UNO rechnet derzeit allerdings niemand mit einem dieser beiden eindeutigen Szenarien. Erwartet werden Varianten, die irgendwo dazwischen liegen: Der Unmovik-Bericht vom 27. Januar entlastet Irak völlig oder zumindest weitgehend bis auf einige von Bagdad noch nicht zufrieden stellend beantwortete Fragen über den Verbleib einiger Altbestände an B- und C-Waffen. (Das ist nach taz-Informationen auch der Tenor des Zwischenberichtes, den Blix am Donnerstag dieser Woche vor dem Rat erstatten wird.) Es kommt bis Ende Januar allerhöchstens noch zu Behinderungen der Inspektoren. Das heißt, keine oder nur eine der beiden notwendigen Voraussetzungen für die Ratsfeststellung einer „gravierenden Verletzung“ der Resolution 1441 durch Bagdad wäre erfüllt.

Dennoch beharren die USA unilateral auf dieser Feststellung – möglicherweise unterstützt von Großbritannien. Sie setzen die Vorbereitungen für einen Krieg gegen Irak fort und erklären die Resolution 1441 zur völkerrechtlich ausreichenden Grundlage für militärische Maßnahmen. Unter solchen Rahmenbedingungen könnte sich Deutschland aktiv für eine Resolution des Sicherheitsrates engagieren, in der festgestellt wird, dass keine „gravierende Verletzung“ der Resolution 1441 durch Bagdad (und damit keine Grundlage für militärische Maßnahmen) vorliegt; dass die Inspektionen fortgesetzt werden sollen und dass Blix dem Rat in einigen Monaten einen weiteren Bericht vorlegen soll.

„Enge Abstimmung“ mit Frankreich

Solange die Bundesregierung ihre eigenen Positionen im Sicherheitsrat auch nicht im Ansatz erkennen lässt, bleibt völlig offen, was die von Berlin zum vorrangigen Ziel erklärte Herstellung einer „gemeinsamen Haltung“ der vier EU-Staaten in dem UN-Gremium in der Sache heißt. Bedeutet dies eine Annäherung Deutschlands an die US-nahe Position Großbritanniens, mit der auch Spanien sympathisiert? Oder die Unterstützung der zumindest bislang sehr US-kritischen Position Frankreichs, mit dessen Präsident Chirac der Bundeskanzler am Wochenende telefonisch eine „enge Abstimmung“ im Sicherheitsrat vereinbart hat. Die Regierung in Paris hatte über ihre Verteidigungministerin vor wenigen Tagen noch einmal ausdrücklich bekräftigt, dass für Frankreich ein militärisches Vorgehen gegen Irak – wenn überhaupt – nur auf Grundlage einer zweiten UNO-Resolution mit einer völkerrechtlich eindeutigen Ermächtigung in Frage kommt.

Dies ist nach wie vor auch die Position der ständigen Ratsmitglieder China und Russland. Unter den nichtständigen Mitgliedern wird diese Haltung bislang zumindest von Syrien, Mexiko, Chile, Angola und Pakistan geteilt. Kamerun und Guinea tendieren in diesselbe Richtung, haben ihre Meinungsbildung aber noch nicht abgeschlossen. Bulgarien zeigt die vergleichsweise größte Bereitschaft, notfalls ein militärisches Vorgehen der USA und Großbritanniens lediglich auf Basis der Resolution 1441 politisch mitzutragen. Ist das auch die Haltung der Bundesregierung, wie Außenminister Fischer in seinem Spiegel-Interview vom letzter Woche zumindest nahe gelegt hatte? Eine Antwort auf diese Frage wird in New York mit zunehmender Spannung erwartet.