„Ich bin nicht witzig“

Eine Bombe, die ihre Zündung selbst kontrolliert: Das Phänomen Helge Schneider und seine neue Show „Verzeih mir, Baby (ich kann nichts dafür)“ noch bis Donnerstag im Schmidts Tivoli

von NIKOLA DURIC

Vor einiger Zeit durfte sich ein Prominenter im Fernsehen einen Gesprächspartner wünschen, den er noch nie getroffen hatte. Der schwergewichtige Wiener S/M-Praktiker und Literaturkenner Hermes Phetberg wollte am liebsten mit toten Griechen sprechen, weil das aber nicht möglich war, fiel seine Wahl auf Helge Schneider. Aus diesem Treffen resultierte eine der traurigsten TV-Sendungen der letzten Jahre. Der bekennende Depressive Phetberg entpuppte sich als einer der wenigen Menschen, die nicht Schneiders Comedy mögen, sondern die Traurigkeit erkennen, die unter seinem Humor liegt.

Eigentlich ist Schneider eine Zumutung für jede Fernsehshow. Lange Fragen beantwortet er dort gerne mit „Ja“ oder „Ähh, nein“. Oft sagt er gar nichts und rutscht nur ganz langsam den Ledersessel hinunter. Doch Schneider ist unberechenbar und gerade darum ein Juwel im Medienzoo: eine Bombe, die ihre Zündung selbst kontrolliert. Und wenn er auf einer Bühne steht, wie jetzt zu Tourbeginn in Hamburg, ahnt der Zuschauer nie, welches der zahlreichen Instrumente er als nächstes spielen wird, oder wann er nach Tee verlangt.

Was für den Komiker Jaques Tati seine präzisen Choreographien, das sind für Schneider seine genau gewählten Worte. Er hat „poppen“, „Plauze“ und „lecker“ wieder populär gemacht. Zum Auftakt seiner aktuellen Show Verzeih mir, Baby (ich kann nichts dafür) begrüßte er das Publikum im Schmidts Tivoli mit dem Satz: „Schön, dass ihr zustande gekommen seid“. Er präsentiert Songtexte wie „Von Pommes kriegt man Pickel, ist mir egal, Pommes ist kein Name“ oder Lieder, deren Text nur aus “Nein, Nein, nein, doch!“ bestehen. Kurze Lieder würden mehr sagen als lange, erklärt er, und so geht eins der Stücke nur genau so lange, wie Schneider braucht, um „Die Sekretärin Anneliese Roth“ zu singen. Schneider spricht mit der Rückkopplung, schimpft auf das Feedback der Verstärker. Und die Batterie von Tasteninstrumenten auf einem Podest nennt er seine „Keyburg“. Bewacht wird sie von seinem „Schatz, Lakei und Teekoch“ Bodo. Der kann schon lange nicht mehr über die Scherze seines Arbeitgebers lachen.

Nach der Tournee Hefte raus – Klassenarbeit hat sich Schneider von seinen alten Weggefährten Buddy Casino und Peter Tohms getrennt. Dafür begleiten ihn nun Legenden wie der Schlagzeuger Pete York, der früher bei der Spencer Davis Group spielte, und Jimmy Woode, der schon Duke Ellington und Ella Fitzgerald mit dem Bass begleitete. Wie die frühere Backing-Group geben die beiden Schneider immer wieder die Möglichkeit zu seinem berühmten einhändigen Gitarrespiel oder einfach zum Tanzen.

Schneider ist einerseits Klamauk und Quatsch. Andererseits sind Leute, die sich seinerzeit die „Katzeklo“-Single gekauft haben, scharenweise aus seinem dritten Spielfilm Praxis Dr. Hasenbein rausgerannt, weil sie die liebevolle und in die Länge gezogene Skurrilität nicht mehr ausgehalten haben. Schneiders Filme haben viel mehr mit Aki Kaurismäki gemein als mit dem „Quatsch Comedy Club“. Schneider erinnert auch an den Jazzmusiker Count Basie, der dafür berühmt war, dem Spiel seiner Band nur ganz selten mal einen Ton hinzuzufügen. Schneider besitzt genau dessen Gefühl für Zersplitterung und Präzision. Für Humor-Spieler wie Stefan Raab, Christoph Schlingensief oder Kaya Yanar gibt es Entsprechungen und Vorbilder in anderen Ländern. Jemanden wie Helge Schneider gibt es nur in Mühlheim an der Ruhr. Helge Schneider hat sich und sein Genre selbst erfunden, irgendwo zwischen Jazz, gewieftem Sprachwitz und der besagten ungeheuren Unberechenbarkeit. An einer Stelle seiner Show sagt er zu Bodo: „Ich bin nicht witzig.“

täglich bis Donnerstag, jeweils 20 Uhr, Schmidts Tivoli (Achtung: nur noch Restkarten! ☎ 31 77 88 99)