: Ein transatlantisches Projekt
Zwei ehemalige Berater von US-Präsident Clinton fordern: Amerikaner und Europäer müssen gemeinsam helfen, den Nahen Osten zu demokratisieren und zu modernisieren
Über 50 Jahre lang haben die USA und ihre europäischen Verbündeten strategisch kooperiert: bei dem großen Vorhaben, einen demokratischen, friedlichen und prosperierenden Kontinent zu schaffen, der sich weder von innen noch von außen bedroht sieht. Ein neues Jahrhundert hat begonnen, und jene Aufgabe nähert sich der Erfüllung. Bald werden EU und Nato dazu beitragen, zwischen Ostsee und Schwarzem Meer Demokratie und Sicherheit zu garantieren.
Nun müssen die USA und Europa Sinn und Zweck der transatlantischen Beziehung neu bestimmen. Während des zurückliegenden halben Jahrhunderts bestand unsere gemeinsame Aufgabe darin, Europa vor Bedrohungen auf diesem Kontinent zu beschützen. Heute kommen die gefährlichsten Bedrohungen sowohl der amerikanischen wie der europäischen Sicherheit von außerhalb Europas – von Terroristen oder Schurkenstaaten im gesamten Nahen Osten (engl. Greater Middle East: gemeint ist die Region von Nordafrika über Ägypten und Israel bis zum Persischen Golf, Afghanistan und Pakistan; d. Red.)
Weder die USA noch Europa haben bisher das Wesen der neuen Gefahr, der wir uns gegenübersehen, die spezifischen Verwundbarkeiten der westlichen Demokratien und die Konsequenzen für unsere künftige Sicherheitspolitik geistig verarbeitet. Es handelt sich nicht einfach um jene Spielarten des Terrorismus, die viele Länder, gerade in Europa, seit Jahrzehnten kennen. Die gegenwärtige Bedrohung entsteht, da failed states und Schurkenstaaten Terrorismus fördern und Massenvernichtungswaffen besitzen. Überdies sind diese Probleme ihrerseits nur Symptome der tiefer reichenden wirtschaftlichen und politischen Unruhe, die den Nahen Osten erfasst hat.
Wir müssen daher in die Offensive gehen, um die dem Terrorismus zugrunde liegenden Ursachen zu behandeln. Zweifellos braucht unsere Strategie eine militärische Komponente. Aber der Terrorismus stellt in erster Linie ein politisches Problem dar. Der Antiterrorkrieg muss deshalb auf dem politischen Schlachtfeld ebenso gewonnen werden wie auf dem militärischen. Denn: Der gesamte Nahe Osten leidet unter einer Krise der Regierbarkeit, die mit der Unfähigkeit seiner Staaten einhergeht, die Herausforderungen der Moderne und der Globalisierung zu bewältigen. Die Volkswirtschaften der Region, selbst jene, die auf gewaltige Öleinkünfte zurückgreifen können, bieten der Bevölkerung weder Wohlstand noch Würde. Ihre Bildungssysteme produzieren massenhaft alphabetisierte, aber unzureichend ausgebildete junge Leute, für die es keine angemessenen Netze sozialer Sicherheit gibt – empfänglich für alle, die Hass und Terror säen.
Um dieser Herausforderung begegnen zu können, braucht der Westen eine Strategie, die sich nicht im Militärischen, nicht in einem Feldzug erschöpft. Ussama Bin Laden zu töten und Saddam zu stürzen, sind gewiss wichtige Zielsetzungen, aber für sich genommen reichen sie nicht aus. Verfolgt man sie isoliert, könnten sie fehlschlagen oder sogar kontraproduktiv wirken. Während wir die Fähigkeit von Terroristen und Schurkenstaaten, uns Schaden zuzufügen, bekämpfen müssen, geht es gleichzeitig vor allem darum, der Dynamik, die der Entstehung solch monströser Gruppen und Regimes zugrunde liegt, eine andere Richtung zu geben. Andernfalls werden die Namen der failed states, der Schurkenstaaten und Terrorgruppen wechseln, nicht aber die Ursachen ihrer Entstehung und die Gefahren, die uns daraus erwachsen.
Die Strategie des Westens muss an den Wurzeln dieser Probleme ansetzen. Während wir den Krieg gegen den Terrorismus auch militärisch fortsetzen, müssen wir uns ebenso stark für eine politische Strategie engagieren, die zur Transformation des Nahen Ostens beiträgt. Das hieße, das Wesen der antiwestlichen Regimes, die unseren Feinden Zuflucht, Unterstützung und Nachwuchs bieten, zu wandeln, indem wir versuchen, offenere, sozialere und verantwortlichere Regimes zu schaffen, die friedlich miteinander auskommen. Es würde auf eine neue Form der Demokratie im Greater Middle East hinauslaufen, auf ein neues Wirtschaftssystem, das den Menschen in der Region zu Arbeit, Würde und gesichertem Lebensunterhalt verhilft. Es hieße, den Gesellschaften des Nahen Ostens dabei zu helfen, mit den Anforderungen der Moderne zurechtzukommen und neue Zivilgesellschaften zu schaffen, die sie befähigen, mit der modernen Welt mitzuhalten, ohne das Bewusstsein ihrer kulturellen Einzigartigkeit zu verlieren. Von der Lösung dieser Fragen wird es letzten Endes abhängen, ob wir den Krieg gegen den Terrorismus gewinnen und der Vielzahl der Bedrohungen, die von der Region für uns ausgehen, ein Ende machen können.
Es handelt sich um ein strategisches Projekt, das nicht Jahre, sondern Jahrzehnte braucht. Es zu verwirklichen, übersteigt die Möglichkeiten eines jeden Einzelstaates, die Vereinigten Staaten eingeschlossen. Wie könnte eine gemeinsame transatlantische Strategie, dieser Bedrohung zu begegnen, in der Praxis aussehen? Die Schwierigkeiten, denen wir uns in Afghanistan, im israelisch-arabischen Konflikt, im Irak und im Iran gegenübersehen, sind alle unentwirrbar miteinander verflochten und Teile des gleichen strategischen Problems, in dessen größerem Rahmen sie gesehen werden müssen und in den bis zu einem gewissen Grade auch der Kaukasus und Zentralasien gehören.
Der Westen kann der Region nicht seine eigenen Politik- und Regierungsmodelle aufzwingen, er sollte es gar nicht erst versuchen. Die Transformation des Greater Middle East enthält zwangsläufig Elemente der Demokratisierung, der Marktwirtschaft, der Rechtsstaatlichkeit und fortschrittlicher Bildung, wie wir sie verstehen. Aber es steht uns nicht zu, die endgültige Gestalt dieser Region zu diktieren. Unser Ziel sollte nur darin bestehen, den Stimmen des Fortschritts in der Region Gehör zu verschaffen und bei der Gestaltung einer neuen Gesellschaft zu helfen. Wir wissen nicht, wie die arabische Moderne oder ein moderner Islam aussehen wird.
Die neue Strategie sollte zuerst in Afghanistan umgesetzt werden. Falls nämlich die USA erneut vermeiden, sich dort zu engagieren, wird der Rest der Region dies als klare Botschaft deuten: dass wir nur an der Zerstörung islamischer Gesellschaften interessiert sind und nicht daran, sie aufzubauen. Es wird die Hassgefühle und Lügen nähren, die Ussama Bin Laden und seinesgleichen verbreiten. Der zweite Bereich, in dem die Vereinigten Staaten und Europa zusammenarbeiten müssen, um zur Modernisierung der Region beizutragen, ist der arabisch-israelische Konflikt.
Drittens muss Saddam Hussein mit seinem Regime verschwinden, und zwar sowohl, weil sein Streben nach Atomwaffen die lebenswichtige Region des Persischen Golfs gefährdet, als auch deshalb, weil eine längerfristige Strategie demokratischen Wandels für den Nahen Osten unmöglich gelingen kann, solange dieser Stalin unserer Tage seinen brutalen totalitären Staat aufrechterhält. Dies wird eine groß angelegte Invasion im Irak erfordern. Es wäre für alle Betroffenen besser, wenn die USA und Europa diesen Feldzug gemeinsam führen. Denn unsere gemeinsame Zukunft hängt ebenso wie von der Beseitigung der Massenvernichtungswaffen Saddams vom Aufbau eines demokratischeren Nachfolgeregimes im Irak ab. Auch beim Iran handelt es sich viertens um ein Land, wo die Vereinigten Staaten und Europa beim Regimewandel helfen müssen, allerdings auf ganz andere Weise als im irakischen Fall. Der Iran zeichnet sich dadurch aus, dass der Prozess des Wandels nirgendwo deutlicher zu Tage tritt als in diesem Lande, dessen Erneuerung nur eine Frage der Zeit und der Demografie sein dürfte.
Ohne die Führung der USA und des Präsidenten persönlich wird es nicht gelingen, beide Seiten des Atlantiks in einer neuen strategischen Zweckbestimmung zusammenzuschweißen. Zwar gibt es für Europa reichlich zu tun, aber bei der Herausbildung dieser neuen Richtung und Zweckbestimmung muss die Führung von dieser Seite des Atlantiks ausgehen. Niemand sonst verfügt über die Autorität und den Einfluss, derart kühne Richtungsvorgaben und Prioritäten durchzusetzen, wie sie dieser Artikel fordert. Aber genau dies gehört zu den Dingen, die heute fehlen: amerikanisches Engagement für die Schaffung einer gemeinsamen amerikanisch-europäischen Position zu den drängendsten strategischen Fragen der Zeit. RONALD D. ASMUSKENNETH POLLACK