DIE SPD ENTDECKT, DASS SIE DEN MITTELSTAND VERNACHLÄSSIGT HAT
: Rückbesinnung aufs Binnenland

Wenn in der SPD ein Wettstreit darüber ausbricht, wie der Mittelstand gefördert werden kann, so ist dagegen nichts einzuwenden. Gut, dass Wirtschaftsminister Wolfgang Clement Existenzgründern die höchst überflüssige Pflichtmitgliedschaft in den antiquierten Industrie- und Handelskammern ersparen will. Schön, dass die SPD-Linke fordert, mehr Geld für moderne Umwelt- und Energietechnik auszugeben. Interessanter als diese Pläne ist das unausgesprochene Eingeständnis, dass all das bisher nicht passiert ist.

Hinter dem Begriff „Mittelstand“ verbergen sich zehntausende Unternehmen vom Kneipenwirt über den Friseur bis zum Maschinenbaubetrieb mit hunderten Beschäftigten. Mittelstand bedeutet 20 Millionen Jobs – mehr als die Hälfte aller deutschen Arbeitsplätze. Und nun will sich die SPD dieser Mehrheit annehmen. Bisher hat sie sich eher um andere gekümmert, etwa um die transnationalen Konzerne und ihr Wohlergehen. Ein Highlight dieser Politik war die Abschaffung der Steuer auf Unternehmensverkäufe.

Für Wirtschaftsminister Clement geht es nun darum, die offene Flanke zur Union zu schließen. Die reitet nicht ganz zu Unrecht darauf herum, dass Rot-Grün den Mittelstand schlecht behandelt. Und die SPD-Linke hat in der Mittelstandspolitik ein neues Betätigungsfeld gefunden – in Abgrenzung zum konservativen Flügel der Sozialdemokraten, der die Arbeitnehmerinteressen in den Großunternehmen bedient. In den kleineren Betrieben lassen sich soziale Gerechtigkeit (neue Jobs) mit wirtschaftlicher Modernisierung (Energietechnik) und gesellschaftlichem Fortschritt (Umweltschutz) verbinden.

Mit Mittelstandspolitik könnte sich auch eine Rückbesinnung auf die wirtschaftspolitische Binnenorientierung ankündigen. Denn kleine und mittlere Unternehmen betätigen sich ganz wesentlich im Inland. Manchem in der SPD scheint zu dämmern, dass die global tätigen Unternehmen ihrer Pflege nicht so sehr bedürfen. Wie der riesige Außenhandelsüberschuss zeigt, geht es denen meist blendend. HANNES KOCH