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Archiv-Artikel

„Für die Wirtschaft sind Flächenstreiks billiger“

Vor einem möglichen Streik im öffentlichen Dienst bringen die Interessengruppen ihre Argumente in Stellung: Gewinner und Verlierer eines Ausstands

BERLIN taz ■ Die Verwaltung des Frankfurter Flughafens ist Stress gewohnt. Rund 1.200 Flugzeuge starten und landen hier täglich. Wenn der öffentliche Dienst demnächst streiken sollte, könnten ruhigere Zeiten ins Haus stehen. Doch obwohl im Streikfall missmutige Reisende zu erwarten sind, gibt sich die Chefetage gelassen. „Wenn da etwas auf uns zukommt, werden wir das überstehen“, sagte Wolf-Dieter Schaller vom Flugplatzbetreiber Fraport AG gestern.

Bei aller Gelassenheit beginnt nun, nachdem die Schlichtung vorerst gescheitert ist, das große Rechnen. Denn ein Streik, wie er immer wahrscheinlicher wird, der kostet. Rund 256 Millionen Euro teuer war der zwölftägige Ausstand im öffentlichen Dienst 1992, glaubt man einer Studie des Kölner Instituts der Deutschen Wirtschaft. Auch diesmal bringen die Interessengruppen ihre Zahlen in Stellung: Die Gewerkschafter zählen den Inhalt der Streikkasse, aus der die Lohnausfälle der Streikenden bezahlt werden. Die Ökonomen berechnen schon den Schaden für die Wirtschaft, und die Städte subtrahieren ihre Haushalte weiter ins Minus.

„Die Streikkasse von Ver.di ist gut gefüllt“, behauptet Udo Buchholz, Mitarbeiter im Ver.di-Bundesvorstand, angriffslustig. Wie gut, will der Gewerkschafter nicht verraten. Aber es reiche für einen längeren Atem, so Buchholz. Dass der Gewerkschaftsverband nach seiner Gründung vor knapp zwei Jahren an finanzieller Schlagkraft gewonnen hat, steht nicht in Frage. Unklar ist aber, wie er diese Macht einsetzen wird. „Auf eine Streiktaktik einigen wir uns erst nach der Urabstimmung“, so Buchholz.

Derweil überdenken die Ökonomen ihre Konjunkturprognosen. „Wenn wir in diesem Jahr einen längeren Streik und den Irakkrieg erleben, müssen wir unsere Prognose für 2003 nach unten korrigieren“, ist sich Winfried Fuest sicher. Der Finanzexperte am Kölner Institut der Deutschen Wirtschaft rechnet vor, was verschiedene Streiktaktiken kosten würden. Der Gewerkschaft billig, den privaten Arbeitgebern aber teuer käme die Taktik der „Nadelstiche“. Hier müsste die Gewerkschaft nur wenige Arbeitnehmer aus der Streikkasse finanzieren. Weil diese aber zentrale Infrastrukturen lahm legten, werde die Produktion bei privaten Arbeitgebern gefährdet. Etwa wenn der Nahverkehr nicht fährt. „Flächenstreiks dagegen sind für die Wirtschaft billiger“, so Fuest. Durch entsprechende Lagerhaltung könnten Kosten vermieden werden.

Auf die öffentliche Hand sieht Fuest im Streikfall wesentlich mehr Ausgaben zukommen als 1992. Damals waren es rund 153 Millionen Euro. Das läge, so Fuest, vor allem an den gestiegenen Personalkosten. „Die Städte werden sich ihre Streikkosten vor allem aus den Investitionshaushalten zurückholen.“ Aus diesem Haushalt werden sonst Straßenbauten und Schulsanierungen bezahlt.

Auch unter diesen Voraussetzungen sieht Buchholz die Akzeptanz für einen Streik seitens der betroffenen Bürger nicht gefährdet. „Wir können ja auch dort streiken lassen, wo die Bevölkerung einen Nutzen davon hat“, so Buchholz. „Bei den Fahrscheinkontrolleuren zum Beispiel.“ MATTHIAS BRAUN