: Der Totenschein lautet auf Cholera
Eine Ausstellung der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst, Berlin, widmet sich der aktuellen Auseinandersetzung von afrikanischen Künstlern mit Aids
von AYGÜL CIZMECIOGLU
Große Holzskulpturen begegnen dem Besucher am Eingang. Schwarze Männerkörper mit dicklippigen Mündern strecken einem ihre überlangen Penisse entgegen. Doch sie strahlen weder Potenz noch Kraft aus. Auf ihren riesigen Geschlechtsteilen sitzen fratzenartige Figuren als Zeichen des Todes. „Strong Guy“ heißt eine dieser Arbeiten von Zephania Tshuma, der vor zwei Jahren an einer HIV-Infektion gestorben ist. Wie er und andere afrikanische KünstlerInnen das Thema Aids reflektieren, ist erstmals in Deutschland in einer Ausstellung zu sehen. Mit „Africa apart“ setzt die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) ihre Reihe „Unterbrochene Karrieren“ fort. Nach einer verstärkten Fokussierung auf westliche KünstlerInnen, die an den Folgen ihrer HIV-Infektion gestorben sind, wenden sich die Ausstellungsmacher nun dem Kontinent zu, der am meisten vom HI-Virus betroffen ist. Wieder stehen Tod, Verfall und Sexualität im Mittelpunkt der künstlerischen Auseinandersetzung mit Aids. Tshuma etwa nutzt die klassische afrikanischen Schnitzkunst, also eine traditionelle Form, zur Darstellung eines sexuellen Tabus.
Neugierig sucht der Betrachter auf den Schildern unter den Werken das Land, aus dem der Künstler stammte. „Simbabwe“, hilft eine Dame aus, die sich einen Katalog gekauft hat. Den benötigt man auch dringend. Ansonsten schlendert man leicht irritiert zwischen den Exponaten umher. Woher kommen die jeweiligen Künstler? Wie progressiv oder gängig ist die gezeigte Kunst in ihren Ländern?
Diese Fragen werden auch bei den Dokumentarfotos von Fanie Jason nicht beantwortet. Im Gegensatz zu den abstrakten Figuren Tshumas gibt Jason in seiner Fotoserie „Standard of Living“ der Krankheit ein konkretes Gesicht und verortet es in den Townships von Kapstadt. Auf seinen zwölf Schwarzweißaufnahmen begleitet er die HIV-Positive Nolungile Yoku durch ihren Alltag. Mal sieht man sie ausgehungert und von der Krankheit geschwächt in einem Einkaufswagen auf dem Weg zum Krankenhaus, um gleich anschließend Zeuge ihrer ungebrochenen Lebenslust zu werden, wenn sie lächelnd mit ihren Enkeln vor der Kamera posiert. Fernab einer voyeuristischen Bestandsaufnahme versucht Jason anhand eines konkreten Individuums, die gesellschaftlichen Schnittstellen von Aids wie Armut, Hilflosigkeit, aber auch Hoffnung aufzuzeigen. Damit bricht er mit seinen Fotografien eine in Afrika weit verbreitete fatalistische Sichtweise auf Aids. In vielen afrikanischen Staaten wird die HIV-Infektion mit religiösen Metaphern wie „Sintflut“ in Verbindung gebracht. Anklänge an Hexerei sind als Erklärungsmuster nicht selten. Der Eindruck des Ausgeliefertseins und Nicht-ändern-Könnens verstellt den Blick auf eigenverantwortliches Handeln.
Die Bilder der Künstlerin Sue Williamson wenden sich ebenfalls gegen eine solche Mystifizierung der Krankheit. Die Südafrikanerin verbindet in ihrer Arbeit einen individuellen Blickwinkel mit der kollektiven Verarbeitungsweise von Aids. In „From the inside“ werden politische Statements in Form von Graffiti und persönliche Biografien durch fotografische Porträts miteinander verbunden. Der Satz „People with Aids should be treated just like anyone else“ bekommt einen konkreten Bezug, indem er neben das Bild eines Transvestiten gesetzt wird. Doch die Darstellung der bunten Slogans auf Wänden und Türen verdrängt die kleineren, in Schwarzweiß gehaltenen Porträts der Betroffenen. Das konkrete Leiden des Einzelnen verblasst, wenn der Aids-Problematik durch allgemein gehaltene Slogans begegnet wird. Williamsons Kritik an der Vorgehensweise vieler Aids-Kampagnen zeigt, wie uneffektiv diese sind. Eine bunte Sitzbank mit einer Aufschrift, die für mehr Toleranz wirbt, steht leer neben einer anderen ohne Beschriftung, auf der Menschen sitzen. Die Künstlerin knüpft hier an historische Zusammenhänge an und ordnet die Diskriminierung von Aidskranken in die Tradition des Apartheidregimes mit ihren getrennten Plätzen für Schwarze und Weiße ein.
Diese dokumentarische Herangehensweise, die von einem Individuum ausgehend die Folgen von Aids aufzuzeigen versucht, ist weder für die Ausstellung noch für die gesamte Auseinandersetzung mit dem Thema in Afrika repräsentativ. Jason und Williamson stellen mit ihren Fotografien von HIV-Positiven künstlerische Ausnahmen dar. „Ein Problem besteht schon darin, dass sich Menschen, die Aids haben, nicht fotografieren lassen wollen“, sagt Akinbode Akinbiyi. Um der sozialen Stigmatisierung zu entgehen, lassen Hinterbliebene Totenscheine auf Lepra oder Cholera ausstellen. Der Fotograf aus Nigeria versucht die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Krankheit einzufangen. Seine Schwarzweißfotografien zeigen die Hauptstadt Lagos als einen Moloch aus Kriminalität und Überbevölkerung. Schmutzige Straßen, Menschen zwischen aufgestapelten Kartons, Kinder, die barfuß aus dem Bildrand fallen – altbekannte Szenen der Armut begegnen dem Betrachter. Doch das Gezeigte bleibt eine Momentaufnahme, die lediglich den Teufelskreis zwischen wirtschaftlichem Elend und Aids illustriert.
Ganz anders die Arbeiten von Gail Iris Neke. Die Installation „Killing the (M)other“ der in Johannesburg lebenden Künstlerin thematisiert die Ausübung sexueller Gewalt und verknüpft sie auf assoziative Weise mit Aids. Ihr Heimatland Südafrika besitzt die höchste Vergewaltigungsrate des Kontinents. Vor allem junge Frauen und Kinder sind davon betroffen und stellen die größte Risikogruppe bei HIV-Infizierungen dar. Der Irrglaube, Sex mit Jungfrauen sei reinigend und befreie vom Virus, lässt junge Mädchen Opfer von Vergewaltigungen werden. Eingebettet in ein patriarchales Kulturverständnis, betrachten Männer solche sexuellen Übergriffe als ihr gutes Recht. Sie versuchen ihre aufgrund von politischen und wirtschaftlichen Umbrüchen in eine Identitätskrise geratene Männlichkeit durch sexuelle Machtbekundungen zu kompensieren. Die von Neke benutzten Munitionskisten lassen gerade die in Kriegszeiten aufkommende männliche Machtausübung durch Vergewaltigungen in den Sinn kommen. Doch die Künstlerin verwischt in ihrer Arbeit eindeutige Täter-Opfer-Zuschreibungen. Der kaputte Kopf einer Kinderpuppe in einer mit Nadeln gefüllten Kiste meint sowohl die schon im Mutterleib infizierten Babys von HIV-positiven Frauen als auch die in der Kindheit erlebten Traumata von Vergewaltigern. Die Künstlerin demontiert das männliche Machtverständnis, indem sie Unterhosen von Männern – gleichsam Zeichen ihrer Verletzlichkeit und Potenz – ausstellt und mit suggestiven Formulierungen bedruckt. Fragen wie „Hast du deine weibliche Seite zerstört, indem du sie angegriffen hast?“, sollen einen psychoanalytischen Blick auf die Täter werfen und diese als eigentliche Opfer mit niedrigem Selbstwertgefühl entlarven.
Auch die „Bom Boys“, eine Installation von Jane Alexander, vereinen diese Opfer-Täter-Rolle in sich. Die in diesem Jahr mit dem DaimlerChrysler Award ausgezeichnete Künstlerin aus Südafrika verweist mit ihren kleinen, teils angezogenen, teils nackten Figuren auf die Straßenkinder Kapstadts und die Gewaltspirale aus Drogen und sexuellen Übergriffen, in der sie sich befinden. Ihre graue Hautfarbe symbolisiert die Fahlheit des nahenden Todes vieler dieser Aidswaisen. Die Tiermasken, die sie tragen, erinnern an gängige Totemsymbole aus der afrikanischen Volkskunst. Doch statt Stärke und Kraft zu symbolisieren, wirken sie wie Anachronismen, die die Verletzungen ihrer Träger nur notdürftig verbergen können.
Gerade in dieser Verbindung von traditionellen Symbolen mit tabuisierten Inhalten offenbart sich der innovative Blick vieler Exponate. Reminiszenzen künstlerischer oder geschichtlicher Art betten das Phänomen Aids in einen Kontext aus Armut, sexueller Gewalt und wirtschaftlichem Elend ein. Doch die Ausstellungskonzeption vermag es nicht, die einzelnen Positionen zu kontextualisieren. Malerei aus ländlich geprägten, postsozialistischen Ländern wie Mosambik wird neben Fotografien aus dem stark westlich orientierten Südafrika gehängt. Entstehungsorte werden erst gar nicht genannt. So entsteht der Eindruck eines einheitlichen, von Tabus geprägten Umgangs mit HIV, der mögliche Differenzierungen außer Acht lässt. Kunstwerke aus Uganda etwa, dem Land, in dem schon Mitte der Achtzigerjahre staatlich geförderte Aufklärungskampagnen einen offenen Umgang mit Aids propagierten, fehlen völlig. Die große Leistung der Ausstellung, Kunstwerke aus politisch unsicheren Ländern Afrikas wie dem Kongo nach Deutschland gebracht zu haben, wird von der in diesem Fall tatsächlich fehlenden Einbettung der Kunst in den politischen und gesellschaftlichen Kontext überschattet. Ein umfangreiches Rahmenprogramm versucht freilich Kompensation zu bieten.
Bis zum 9. 2. in der NGBK, Katalog 18 €, Filmprogramm: www.fdk-berlin.de/arsenal/arsenal_index.html; mediathek: www.dayzero.co.za/steps/; Kulturprogramm: www.AHOI-kultur.de