Stimmenjagd in Israel im Zeichen von Affären

Likud-Wahlkampf von Korruptionsvorwürfen überschattet. Jetzt werden auch die Söhne von Premier Scharon verhört

JERUSALEM taz ■ Der opferreiche Terroranschlag in Tel Aviv am Sonntagabend hat Ariel Scharons Likud-Partei zweifellos neuen Auftrieb gegeben und Scharons Wahlkampagne auf sein Lieblingsthema, den Anti-Terror-Kampf durch militärische Stärke, zurückgeführt. Scharons Popularität erreichte kurzfristig wieder fast ihren höchsten Stand von November, als Israel unter einer Welle palästinensischen Terrors stöhnte. Damals gaben Umfragen dem Likud 41 bis 42 von 120 Sitzen bei den bevorstehenden Wahlen am 28. Januar statt 19 in der derzeitigen Knesset.

Seit den Primaries Ende November wurde das Image des Likud indes durch Verdacht von Korruption, Stimmenkauf und die Wahl von Exkriminellen ins Likud-Zentralkomitee belastet. In der Folge stürzte ihre Attraktivität innerhalb von drei Wochen auf 31 Sitze. Israelische Medien schrieben begeistert über Versuche von internationalen Mafiosi, Israel über das Likud-Machtzentrum zu unterwandern.

Vergangene Woche hatte Ministerpräsident Ariel Scharon die Infrastruktur-Vizeministerin Naomi Blumenthal entlassen müssen, nachdem sie in einer polizeilichen Stimmenkauf-Untersuchung die Aussage verweigerte. Likud-Aktivisten warfen ihrem Chef jene Entlassung umgehend als „rufschädigend“ vor, mit dem Argument, der Ministerpräsident hätte auf das Ende der Untersuchung warten sollen.

Linke Kritiker mutmaßten, weshalb sich Scharon der Vizeministerin so schnell entledigte: diese Woche stehen dem Likud die Verhöre der Scharon-Söhne Omri und Gilad ins Haus zum Vorwurf von Vorwahl-Betrug. Nach Meldungen des israelischen Rundfunks sollen überdies mindestens ein hoher Likud-Minister sowie einige Abgeordnete in solche Affären verwickelt sein. „Zum ersten Mal in der Geschichte Israels gibt es Beweise dafür, dass ‚Trojanische Pferde‘ für die Knesset kandidieren, um die Machtkorridore zu besetzen und kriminelle Interessen zu verfolgen“, warnt Uzi Benziman in der Zeitung Ha’aretz.

Der Likud stellt die Korruptionsgerüchte natürlich als Teil der Arbeitspartei-Wahlkampagne dar und versucht der Arbeitspartei und ihrem Chef Amram Mitzna ähnliche Delikte anzuhängen. Die Arbeitspartei hat einen überraschenden Stillstand erlebt. Drei Wochen vor den Wahlen bewegt sie sich nicht über 22 bis 23 Sitze und sank damit unter die derzeitigen 25 Knesset-Mandate. Zumindest in Umfragen waren die radikal antiklerikale Schinui-Partei und die sephardisch-religiöse Schas die Gewinner der abtrünnigen Likud- und Arbeitspartei-Sympathisanten. Israels Bevölkerung von nur knapp 6 Millionen Einwohnern zersplittert sich in 27 zur Wahl zugelassene Parteien.

Der Wahlkampf in den elektronischen Medien begann gestern Abend, genau drei Wochen vor dem Wahltermin. Gestern hörte das Oberste Gericht auch die Berufungsanträge der arabischen Abgeordneten Tibi und Bischara und seiner Partei Balad und von Verteidigungsminister Schaul Mofaz, die vom Zentralen Wahlkomitee von der Wahl disqualifiziert worden waren, sowie Anträge gegen die Zulassung des potenziellen Likud-Abgeordneten Baruch Marsel, einen Anhänger des in den Achtzigerjahren in New York ermordeten rechtsextremen Rabbiners Meir Kahane. Morgen wird das Oberste Gericht über die Einsprüche entscheiden. Bis zum 28. Januar wird das Wahlkampf-Pendel hin- und herschwingen, von Vorbereitungen auf den Krieg gegen Irak zu Vernehmungen, vom Krieg gegen den Terror zu Korruptionsaffären. Weitere Anschläge könnten einen wesentlichen Einfluss auf den Wahlausgang haben.

ANNE PONGER