: Reaktor Obrigheim läuft noch 1.043 Tage
Bundesumweltministerium: 15. November 2005 soll AKW abgeschaltet werden. Neuer Vertrag unterschrieben
BERLIN taz ■ Diesmal vollzog sich alles ohne den sonst üblichen Bohei: Das Bundesumweltministerium erklärte gestern, der Vertrag zur Abschaltung des AKW Obrigheim sei nun „spätestens am 15. November 2005 rechtskräftig“. Der zwischen Umweltministerium und Betreiber Energie Baden-Württemberg (EnBW) ausgehandelte neue Vertrag sei von beiden Seiten unterschrieben worden.
Es gibt auch keinen Grund zum Bohei: Laut Atomkonsens hätte das älteste deutsche AKW eigentlich dieser Tage abgeschaltet werden müssen. Kanzler Gerhard Schröder hatte aber in Geheimverhandlungen vor der Wahl den Betreibern – EnBW hält 66 Prozent, die Neckarwerke Elektrizitätsversorgung 24 Prozent, der Rest ist in Streubesitz – zugesichert, das Aus noch einmal zu verschieben: EnBW dürfe 5,5 Terawatt-Stunden vom jüngeren Reaktor Philippsburg 1 auf das Reststrom-Konto von Obrigheim übertragen, so der Deal seinerzeit. Die Bündnisgrünen segneten das murrend auf ihrem Parteitag ab. „Für die betroffenen Unternehmen, die Behörden und die Öffentlichkeit schafft der Vertrag Rechtssicherheit“, erklärte gestern der grüne Umwelt-Staatssekretär Rainer Baake. „Unwiderruflich“ werde der Meiler damit in dieser Legislaturperiode abgeschaltet.
„Viel zu spät“, kommentiert Walter Jungbauer, Energieexperte des Bund für Umwelt- und Naturschutz, das nun rechtskräftige Datum. Jungbauer erklärte, dass die ausstehende Studie der Reaktorsicherheitskommission zur Sicherheit deutscher Atomanlagen Obrigheim eher abschalten wird. „Obrigheim ist in keinster Weise gegen Flugzeugabsturz gesichert, das wird die Studie offiziell belegen“, so der Experte. Allerdings: Die vor anderthalb Jahren versprochene Studie steht immer noch aus. Bei Robin Wood fällt das Urteil ähnlich aus. „Völlig inakzeptabel“, sagt Jürgen Sattari, atompolitischer Sprecher. „Es gibt eine ewig lange Störfallliste, die belegt, dass Obrigheim eine tickende Zeitbombe ist.“ Als einziger Druckwasserreaktor in Deutschland verfügt das AKW nur über zwei Kühlstränge im Primärkreislauf. Sicherheitsexperten kritisieren immer wieder, dass das Kühlmittellecks nur schwer beherrschbar macht. Sattari verweist auf die politische Dimension des Abschaltdatums – zehn Monate vor der nächsten Bundestagswahl. Diesmal hätten viele für die Bündnisgrünen gestimmt, damit der ohnehin mangelhafte Atomkonsens nicht gefährdet wird. Sattari: „Der Atomkonsens ist zur Wahlkampfmasche geworden.“
Obrigheim geht nun also nicht als das erste per Atomkonsens abgeschaltete AKW in die bundesrepublikanischen Annalen ein: Noch in diesem Jahr wird Stade – gemeinsam von Eon und HEW betrieben – vom Netz genommen. Allerdings vor allem, weil dort viel investiert werden müsste. Insofern kann das ja noch was werden, mit dem ersten per Atomkonsens abgeschalteten AKW Obrigheim. Falls Schröder nicht wieder was anderes sagt. NICK REIMER