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Archiv-Artikel

„Lohnprozente sind der kleinste Nenner“

Im Tarifstreit fehlen qualitative Momente, meint der Politologe Josef Schmid. Ver.di sei zu jung für Experimente

taz: Im diesjährigen Tarifkonflikt im öffentlichen Dienst geht es um Lohnprozente und Laufzeit. Hätte man nicht anderes einbauen können, etwa eine überproportionale Erhöhung für die unteren Lohngruppen?

Josef Schmid: Man hätte da sicher mehr machen können. Es gibt beispielsweise auch nichts, was sich auf die Veränderung des BAT bezieht, nichts, was die Qualifizierung betrifft, wie es etwa die baden-württembergische IG Metall verhandelt hat.

Auch das Thema Beschäftigungssicherung spielt keine Rolle mehr. Es wird sogar befürchtet, dass Jobs vernichtet werden, wenn die Arbeitnehmer einen freien Tag im Jahr opfern, also länger arbeiten, wie die Schlichtung vorsieht.

Ich glaube, dass das Thema Arbeitszeit so kaum Auswirkung auf die Beschäftigung hat. Diesen zusätzlichen Arbeitstag im Jahr werden die Leute so ausfüllen, dass sie die Arbeit eben etwas entzerren.

Gewerkschaftskritiker sagen oft, dass man die Sicherheit der Jobs im öffentlichen Dienst bei den Lohnforderungen berücksichtigen müsste.

Es ist kaum handhabbar, das in die Tarifpolitik mit einzubeziehen. Die Jobs im öffentlichen Dienst sind übrigens auch längst nicht mehr so sicher, die Privatisierungen laufen ja überall.

Hat die etwas starre Verhandlung von Lohnprozenten auch damit zu tun, dass dies die erste große Tarifauseinandersetzung der noch jungen Gewerkschaft Ver.di ist?

Das hat sicher auch damit zu tun. Die Verhandlungen für den öffentlichen Dienst werden ja auch von den anderen in Ver.di organisierten Beschäftigten beobachtet. Da ist die Forderung von Lohnprozenten eben so etwas wie der kleinste gemeinsame Nenner. Außerdem muss sich die Ver.di-Führung positionieren, um nicht von der IG Metall politisch überflügelt zu werden.

Was bedeutet ein Streik für das Image von Rot-Grün?

Ein Streik wirkt sich negativ aus auf Rot-Grün. Tarifauseinandersetzungen im öffentlichen Dienst sind immer unpopulär. Man kann ja nicht sagen: Die Regierung zeigt Flagge und kämpft die Gewerkschaften nieder. Am Schluss stehen die ungeleerten Mülleimer vor der Tür, und die normalen Leute sind sowohl über die Regierung als auch über die Gewerkschaften sauer.

Mit welchem Abschluss rechnen Sie?

Ich denke schon, am Ende steht eine Drei vor dem Komma. Der Tarifvertrag wird dafür aber eine lange Laufzeit haben.

INTERVIEW: BARBARA DRIBBUSCH