: Sounds like a classic
Zu spät dran für den Hype des vergangenen Jahres oder zu früh für den nächsten? Das Berliner Trio „Surrogat“ wendet sich geradezu traditionalistischem Rockhandwerk zu – und gastiert zwei Abende im Molotow
Interview: ANJA KELBER
„Rausch! Wahnsinn! Maßlosigkeit!“ So schallt es aus dem Berg heraus, wenn Surrogat hineinbrüllen. Vor zwei Jahren gab das Berliner Trio mit dem schon beinahe in Stein gemeißelten Album Rock der potenziellen Nachfolge-Platte eine sehr explizite Richtung vor: Direkt ins Höllenreich. Also steil nach oben, klar. Denn wenn Surrogat unten sind, ist unten oben. Nun ist sie fast da, diese konsequente, kampfeslustige Nachfolgerin: Im Februar wird das jüngste Album Hell In Hell den verdammten Schwefelpfuhl der deutschsprachigen Musiklandschaft erreicht haben. Und dann werden da zwei Felsen in der klebrig-zähen Brandung stehen. Vor Videodreh (mit René Weller) und Tour (mit Herman Halb als zweitem Gitarristen) sprach taz hamburg noch schnell mit Sänger/Gitarrist Patrick Wagner und Schlagzeugerin Mai-Linh Truong über Rollenverteilung, Major-Labels und den Reiz von Klassikern.
taz hamburg: Surrogat sind ja in vielem besonders: Musik, Attitüde, Ausstrahlung. Mai-Linh etwa hat diese explosive Bühnenpräsenz und wirkt ansonsten eher wie ein ruhender Pol, was ein schönes Spannungsverhältnis ergibt ...
Mai-Linh Truong: Spannung find ich geil. Verspanntheit jeder Art. Und ich bin halt ein sehr stiller, zurückhaltender Mensch, egal ob öffentlich oder privat.
Ist es da manchmal schwer, sich zwischen Tilo und Patrick, die eher dominant und laut wirken, durchzusetzen?
Truong: Na, Stärke ist nicht immer laut, und Stärke ist nicht immer sofort sichtbar.
Patrick Wagner: Das hört man auch an ihrem Spiel, dass sie eine für einen Schlagzeuger extrem explizite Rolle hat. Das Schlagzeug läuft nicht einfach mit, sondern bewegt sich auf eine sehr tolle, besondere Art. Und das ist die Stärke.
Von Kitty-Yo seid ihr inzwischen zum Major-Label Motor gewechselt. Wie geht man – mit so einem zahlungskräftigen Riesen im Rücken – eine neue Platte an?
Wagner: Wir haben uns zu dritt zusammengesetzt und uns gefragt: Was machen wir mit diesen neuen Möglichkeiten? Wollen wir uns darauf konzentrieren oder wollen wir unseren Scheiß machen? Und wir haben uns, auch auf die Gefahr hin, dass die Platte ein Flop wird, definitiv dafür entschieden, unseren Scheiß zu machen und sind mit dieser Voraussetzung ins Studio gegangen.
Wie war die Arbeit mit den Produzenten Tobias Levin und Moses Schneider?
Wagner: Gleich zu Beginn sagte Moses: „Geil, wir haben hier vier Wochen gebucht, das bedeutet: Urlaub!“ Wir dachten: Von was redet der Typ? Für uns war Studio immer die Hölle. Diesmal lief alles so nach dem Motto: Lass deine fucking Ideen einfach mal laufen! Wer willst du sein? Wo willst du hin? Das war das Entscheidende an der ganzen Produktion und hat uns total den Rücken freigehalten.
Die Presseinfo sieht euch als ,,gallisches Dorf“ in der hiesigen Musiklandschaft. War eure Entwicklung von Rock zu Hell in Hell konsequenter als beispielsweise die von Tocotronic oder Blumfeld in den letzten Jahren?
Wagner: Es kommt aufs Ziel an. Blumfeld waren von Anfang an auf Pop angelegt und sind bei Pop gelandet. Bei uns war insgeheim Rock das Ziel, und wir landeten bei Rock. Bei Tocotronic ist es vielleicht dieses Artifizielle, das da Einzug gehalten hat, das hat sich ja auch schon bei der Platte davor angedeutet. Also, im Prinzip ist es schon alles vergleichbar. Übrigens auch total ähnlich ist, dass sich am Anfang jede Band immer eher in ihrer Nachbarschaft orientiert hat. Irgendwann wird man aber total angreifbar, alles liegt immer auf der Goldwaage. Deswegen wendet man sich dann Klassikern zu.
Klassiker als neue Herausforderung?
Wagner: Ja, denn das ist das Schwerste was es gibt! Nimm Thin Lizzy. Mein Gott, das ist die größte Rockmusik, die jemals geschrieben wurde, und es ist natürlich total schwer, sich in irgendeiner Form dazu zu verhalten. Gleichzeitig ist es aber auch sehr sicher. Peaches, die bei „Love Baby“ in unserem Chor singt, sagte nach den ersten Tönen des Stücks: „Sounds like a classic!“ Ich dachte: Yes! Like a classic: Das hat so was Klassizistisch-Ur-Rockmäßiges und ist trotzdem dein eigener Song. Sowas macht einen dann sicher, fast ein bisschen unantastbar. Das war ein Riesenkompliment.
Dann treffen euch Vorwürfe wie „Rock war grad so‘n Hype, jetzt reicht‘s“ wohl kaum.
Wagner: Beim Album Rock wurde sich aufgeregt, das sei doch die toteste Sache der Welt. Dass Rock jetzt wieder hip ist, da kann ich ja nix für, soll ich deswegen eine Gegenposition beziehen? Das ist doch Unsinn. Ich persönlich bin total glücklich mit dem Schritt, den die Band gemacht hat, und darauf kommt es an: Dass man selber glücklich ist mit dem, was man macht.
Dienstag und Mittwoch, jeweils 21 Uhr, Molotow