„Ich will weg von der Handkamera“

Eoin Moores Spielfilm „Pigs will fly“ inszeniert Gewalt beiläufig und betont damit deren Alltäglichkeit. Ein Gespräch mit dem irischen, in Berlin lebenden Regisseur über schlagende Männer, Schuhe mit Absatz und die Notwendigkeit der Halbtotalen

Interview ANKE LEWEKE

taz: Herr Moore, wenn man „Pigs will fly“ sieht, muss man sich mit einem Menschen auseinander setzen, der zunächst durch lockeren Charme besticht und wenig später seine Frau zusammenschlägt. Ihr Film begleitet diesen Mann, der nicht aus seiner Haut kann.

Eoin Moore: Bei meiner Recherche habe ich nur zwei Bücher von Psychologen gefunden, die sich explizit mit der Täterseite auseinander setzen. Zugleich gibt es viele Ratgeber für misshandelte Frauen, Fallbeispiele, Bücher über deren Werdegänge et cetera. Auch wenn mein Film die Perspektive des Täters einnimmt, möchte ich diesen Menschen nicht entlasten. Aber ich möchte, dass die Hemmschwelle überwunden wird, sich mit ihm zu beschäftigen. Wenn man so einen Fall in der Familie hat, muss irgendwann geredet werden. Und genau diesen Effekt wollte ich mit meinem Film erzielen.

Wie haben Sie und das Team sich dem Thema der Gewalt gestellt?

Schon bei meinem ersten Film, „plus-minus null“, haben wir an der Front recherchiert. Die Schauspielerinnen haben sich mit Prostituierten getroffen. Dieses Authentizitätsgerede mag zwar etwas Albernes haben. Aber wenn man weiß, was es heißt, den ganzen Tag auf hochhackigen Schuhen zu stehen, spielt man das ganz anders. Für „Pigs will fly“ hat sich jeder seiner Rolle entsprechend vorbereitet. Andreas Schmidt, der den gewalttätigen Ehemann spielt, ist in eine Therapiegruppe gegangen. Am Ende saß er allerdings ganz allein da, weil alle anderen im Gefängnis gelandet waren. Thomas Morris, der im Film den Bruder spielt, hat sich von einem Psychologen beraten lassen. Und ich habe viele Bücher gelesen. Unsere Erfahrungen haben wir gesammelt und ausgetauscht. So sind in vielen Gesprächen allmählich die Figuren entstanden. Erst dann habe ich mit meiner Koautorin Nadya Derado das Drehbuch entwickelt.

Eine Methode, die an die Arbeit von Mike Leigh erinnert. Durch Recherche und Improvisationen erarbeiten sich die Schauspieler ihre Figuren und deren gesamtes Universum.

Ich kann nur sagen: Aus Alex wurde Laxe. In „plus-minus-null“ spielte Andreas Schmidt den Bauarbeiter Alex. Einmal trifft er seine Frau, die sich von ihn getrennt hat. Auch wenn es in dem Film nie thematisiert wird, haben Andreas und ich als eines der Trennungsmotive Gewalt in Erwägung gezogen. Dieser Aspekt hat nur in unseren Hinterköpfen eine Rolle gespielt, jetzt wurde er zum Ausgangspunkt von „Pigs will fly“. Natürlich muss man so eine Figur dann langsam kennen lernen und die Mechanismen ihres Verhaltens begreifen.

Bevor Sie einen Film drehen, schauen Sie mit Ihren Schauspielern dem Leben bei der Arbeit zu. Ist das Ihre Idee von Kino?

Schon in meinen ersten Übungen auf der Filmhochschule habe ich fast instinktiv so gearbeitet. Aber ich bin auch sehr abhängig von meinem Umfeld. Ich will immer wissen, ob meine Vorstellungen geteilt werden. Als Mike Leigh für ein Seminar kam und erklärte, dies sei die einzig richtige Methode, war ich extrem stolz. Sicher ist es nur eine Möglichkeit unter vielen, aber sie liegt mir. Anders kann ich mir Kino nicht vorstellen. Ich habe immer mal wieder den Alptraum, etwas fürs Fernsehen machen zu müssen, ein Projekt, bei dem es um etwas geht, womit ich überhaupt nichts zu tun habe. Wo ich mit meinen Lebenserfahrungen nicht die Lücken schließen könnte. Dann müsste ich unbezahlt Recherche machen, denn Proben sind im Fernsehen tabu. Es gibt das Drehbuch und fertig.

Haben Sie wieder auf DV gedreht, weil es Kosten senkt und Improvisation erlaubt?

Natürlich wollten wir uns die Spontaneität nicht nehmen lassen, alles wieder umzuschmeißen oder einfach mehrere Varianten einer Szene zu drehen. Da wir kurz nach dem 11. September in San Francisco gedreht haben, wurden öffentliche Orte wie der Flughafen oder die Golden Gate Bridge überwacht. Die kleinen Kameras ermöglichten es uns, versteckt zu drehen. Aber die Flexibilität ist nur einer von mehreren Gründen. Es ist ein sehr intimes Thema. Wenn man nicht an eine so gigantische Maschinerie gebunden ist, können sich alle vie besser darauf einlassen. Wäre das ein Fünf-Millionen-Projekt gewesen, hätte ich die ganze Zeit das Gefühl gehabt, den ultimativen Film zum Thema drehen zu müssen. Diese Verantwortung wollte ich nicht übernehmen. Der Kameramann Bernd Löhr hat den Film einmal mit einer Skizze verglichen. So sehe ich den Film auch.

Inwiefern unterstützen die DV-Bilder diesen skizzenhaften Charakter von „Pigs will fly“? Formal unterscheidet sich Ihr Film sehr von den dänischen Dogma-Filmen. Die Kamera folgt nicht nur den Schauspielern, sondern hat ein eigenes visuelles Konzept.

Wir wollten weg von dieser authentischen Handkamera, die fast schon zwanghaft den Figuren auf die Pelle rückt. Extreme Nahaufnahmen wären over the top gewesen, weil das Thema schon so persönlich ist. Da braucht es mindestens einen räumlichen Abstand. Man muss Laxe auch in einer Halbtotalen sehen, denn nur so lässt sich seine Dr.-Jekyll-und-Mr.-Hyde-Persönlichkeit ins Bild rücken. Die Qualität der DV-Bilder wird außerdem immer besser, früher musste man ja ganz dicht rangehen, um überhaupt etwas zu sehen. Aber natürlich haben sie immer noch etwas Vorläufiges und Flüchtiges, weil sie nicht alles ganz klar in Szene setzen. Deshalb war diese Ästhetik für unseren Ansatz der Annäherung einfach ideal.

Es sind gerade die ruhigen Einstellungen, in denen sich die Dimension von Laxes eruptiven Gewaltexzessen ausbreiten kann. Auch die Musik wird kontrapunktisch zu seinem Verhalten eingesetzt.

Damit der Alltag dieser Gewalt zum Ausdruck kommt, musste ich sie eher beiläufig in Szene setzen. Da ist dieser Balkon mit dem gelben Sonnenschirm, wie es ihn tausendfach im Berliner Märkischen Viertel gibt. Wenn du in so einer Wohnung etwas machst, kommt von nebenan manchmal Musik, die gar nicht zu deiner Tätigkeit passt. Während Laxe zuschlägt, läuft der Song von Chris Whitley einfach weiter. Damit wollte ich zeigen, dass es sich hier nicht um eine Ausnahme handelt, sondern um einen sich wiederholenden Vorgang. Das ist Alltag. Jeder geht ungerührt seinen Weg weiter.

Den Vergleich mit Mike Leigh haben wir schon gezogen. Aber Ihre Art der Arbeit erinnert auch an John Cassavetes. Sie haben erst drei Filme gedreht und wie er schon eine kleine Filmfamilie um sich geschart: den Kameramann Bernd Löhr, den Schauspieler Andreas Schmidt, mit den Produzentinnen Sigrid Hoerner und Anne Leppin haben Sie jetzt die Firma Workshop gegründet.

Ich habe zwei Jahre in dieses Projekt investiert, deshalb wollte ich nicht nur Regisseur und Autor sein, sondern auch Koproduzent. Nicht aus Kontrollzwang, vielmehr wollte ich als Teil des Teams an allen Entscheidungsfragen bis hin zum Vertrieb und Verleih beteiligt sein. Die Produzentin Sigrid Hoerner und Anne Leppin haben quasi die traditionelle Vaterrolle übernommen, sie haben das Haus, das Geld, die Fürsorge gegeben. Ich habe dann dieses Kind gezeugt.