: Er gehört nicht dazu
aus Ramallah SUSANNE KNAUL
Fragt man hundert israelische Mittelschüler nach dem Namen eines palästinensischen Schauspielers, werden 90 von ihnen sagen: Muhammad Bakri. Die anderen zehn sind vermutlich religiös, gehen weder ins Kino noch ins Theater, und einen Fernseher haben sie auch nicht. Wenn Bakri also in diesem Jahr seinen 50. Geburtstag feiert, könnte er zu sich selbst sagen: „Muhammad, du hast es geschafft. Du hast eine Popularität erreicht, von der du in deiner Kindheit kaum zu träumen wagtest.“ Zu einem glücklichen Menschen macht ihn das nicht. Trotz all der Anerkennung blieb er immer ein Außenseiter und Verfechter für Demokratie und Gleichberechtigung. Ein Kampf, den er zu verlieren droht.
„Gone with the Wind“ hieß einer der ersten Kinofilme, die der fünfjährige Muhammad im Kino des Dorfes al-Bana in Galiläa sah. Zweimal die Woche, jeweils dienstags und freitags, liefen hier meistens amerikanische Streifen. Der kleine Muhammad verpasste nie einen. Dabei war es nicht Clark Gable oder einer der alten Stars aus Hollywood, die den Jungen faszinierten, sondern Jussuf Boulus, der Mann am Projektor, der die englischsprachigen Filme simultan ins Arabische übersetzte. „Ohne ihn hätte ich von den auslänischen Filmen nichts verstanden. Ich liebte ihn.“
Weil es im Dorf keinen Strom gab, wurde der Projektor mit einem sehr lauten Generator angetrieben. Jussuf brauchte ein Mikrofon, um bei dem Lärm verstanden zu werden. „Eines Tages hörte er damit auf“, erinnert sich Muhammad. Obwohl er inzwischen alt genug war, um die arabischen Untertitel zu lesen, mochte er die Filme danach nicht mehr. „Ich war zu sehr an seine Stimme gewöhnt.“ Wenn es einen Menschen gegeben hat, der Bakri dazu bewegte, Schauspieler zu werden, dann wohl Jussuf. „Er war nie objektiv, sondern identifizierte sich immer mit dem Helden und schimpfte mit arabischen Flüchen auf die Verbrecher. Ich war so glücklich, dass er sagte, was ich fühlte.“
1973 schreibt sich Bakri an der Universität in Tel Aviv ein, um Schauspiel und Theater zu studieren. Dass die einzige Sprache, in der unterrichtet und gespielt wird, hebräisch ist, stört ihn zunächst nicht. „Es war aufregend, auf einer Bühne zu stehen, ganz egal in welcher Sprache.“ Was den jungen Studenten politisch zum ersten Mal wachrüttelte, war weder die Besatzung der palästinensischen Gebiete, die schon sechs Jahre lang andauerte, noch der Jom-Kippur-Krieg, sondern der „Tag der Erde“ 1976, im letzten Studienjahr Bakris. Die israelische Regierung hatte bekannt gegeben, Land arabischer Bauern in Galiläa zu enteignen, um neue Ortschaften für jüdische Staatsbürger zu errichten. Bei den Demonstrationen und Unruhen, die dem Regierungsbeschluss folgten, wurden sechs arabische Israelis erschossen.
Der blutige Konflikt im eigenen Land schockierte nicht nur die arabische Bevölkerung. Hand in Hand mit jüdischen Kommilitonen demonstrierte Bakri gegen das brutale Vorgehen von Polizei und Armee. Trotz der Solidarität seiner Freunde wurde er zum ersten Mal konkret mit seiner eigenen problematischen Identität konfrontiert. Ein Araber in einem jüdischen Staat. Diskriminierung überall. „Du fühlst, dass du nicht Teil dieses Staates bist. Du heißt Muhammad Bakri, nicht Izik oder Itamar. Du gehörst nicht dazu.“
Seiner Karriere tat die Fremdheit im eigenen Land keinen Abbruch. Zahlreichen Engagements, unter anderem am Tel Aviver Habima-Theater, auf dessen Bühne heute auch Bakris ältester Sohn steht, folgen in den frühen 80er-Jahren die ersten Filmrollen. „Hanna K.“ von Costa Gavras ist, so sagt er selbst, sein wichtigster Film. Immerhin gelang ihm damit der Sprung zu einer internationalen Produktion. Ein Erfolg, der nur sehr wenigen israelischen Schauspielern beschieden ist. Die New York Times kommentierte „Hanna K.“ im September 1983 als „Blindgänger“ und „politisches Melodrama ohne Aussage“. Bakri spielt einen vermeintlichen Terroristen, und das auch nur, weil der Film eine klare Israel-kritische Aussage hat, nämlich dass Palästinenser hier nicht auf Gerechtigkeit zu hoffen brauchen. Einen Terroristen würde er sonst nicht spielen, obwohl es „wahnsinnig viele Angebote auch aus Amerika“ gegeben hat, genauso wenig wie eine Rolle in einem „antipalästinensischen Propagandafilm“.
In „Jenin, Jenin“ steht Bakri nicht vor der Kamera, sondern gibt Regieanweisungen und stellt Fragen. Das tut er nicht zum ersten Mal. 1998 schrieb er das Drehbuch für den Film „Nakba“ (dt. „Katastrophe“), in dem eine Gruppe älterer Araber ihre Erinnerungen von der Vertreibung vor 50 Jahren erzählen. Die Ereignisse in dem Flüchtlingslager von Dschenin im April letzten Jahres (siehe Kasten) hätten bei ihm Assoziationen an die damalige „Katastrophe“ geweckt, meint Bakri. „Jenin, Jenin“ wäre in diesen Wochen in den Tel Aviver und Jerusalemer Kinos angelaufen, hätte ihn die israelische Zensur nicht verboten. Bakris Film sei einseitig und manipulativ. Er „stellt auf fälschliche Weise Erfundenes als Tatsache dar“, heißt es in der Begründung, gegen die der Regisseur, hoffend, dass „die Demokratie die Prüfung besteht“, notfalls bis vor den Obersten Gerichtshof ziehen will.
Eine Woche nach der umstrittenen Militäroperation im Flüchtlingslager von Dschenin verschaffte sich Bakri zusammen mit einem Kamerateam heimlich Zugang zu der militärischen Sperrzone. Das Ergebnis ist eine Sammlung von Zeugenaussagen und von zum Teil mit filmischen Effekten unnötig dramatisierten Eindrücken aus dem Lager. „Der Film soll nicht den Angriff dokumentieren, sondern die Gefühle der Menschen danach“, sagt der Regisseur. Er ist überrascht über die Zensur, die er „dumm und verantwortungslos“ nennt.
„Jenin, Jenin“ ist auf ein israelisches Publikum ausgerichtet. Der Film habe Scham, Mitgefühl und Solidarität mit den Opfern auslösen sollen. Nun läuft der Streifen im al-Kaseba, einem Theater und Kino im Zentrum von Ramallah.
Mit großen Schritten geht der Schauspieler über die Bühne von al-Kaseba, breitet die Arme aus und ruft: „Ich liebe dieses Theater.“ Vor drei Jahren hatte er mitgeholfen, das vollkommen zerstörte Haus wiederaufzubauen. Er holt eine Schachtel Zigaretten und sein Handy aus der Manteltasche und gräbt sich tief in den Sessel, auf dem sonst der Regisseur sitzt. Mürrisch lässt er sich fotografieren. „Ich sehe so schlecht aus“, sagt er, ohne es dabei auf Komplimente anzulegen. Der „attraktive, junge Palästinenser“, wie ihn die New York Times vor 20 Jahren beschrieb, ist hager geworden und hat tiefe Furchen im Gesicht. An Attraktivität hat er deshalb nicht eingebüßt. Offenbar genießt er sein neues Image, denn er legt den Mantel, der ihn noch stärker als geschlagenen, frierenden Mann erscheinen lässt, nicht ab. Schon am Vorabend nicht, als „Jenin, Jenin“ zum ersten Mal vor palästinensischen Journalisten gezeigt wird.
„Die Palästinenser brauchen meinen Film nicht“, räumt Bakri ein. „Sie wissen selbst, was hier vorgeht.“ Dass der Film, einem palästinensischen Publikum präsentiert, nur die Frustration und den Hass des unterdrückten Volkes nährt, will Bakri nicht wahrhaben. Ebenso wenig, dass er manipulativ sei, wie es ihm die israelische Zensur vorwirft. „Ich habe diesen Film als Mensch und als Künstler gemacht.“ Einem israelischen Publikum die Gefühle der Menschen nahe zu bringen, die betroffen sind, sei seine Absicht gewesen. Weil die Israelis die Stärkeren in dem Konflikt sind, tragen sie die Verantwortung dafür, eine Veränderung einzuleiten. „Wenn wir jetzt keinen Einfluss auf die Politik nehmen, werden wir alle sterben. Deshalb habe ich meinen Film gemacht.“
Bakri ist desillusioniert, spricht von Israel als dem „Land des Todes, der Diskriminierung und des Hasses“. Grund dafür sind nicht nur die vergangenen zwei Jahre. Abgesehen von einer kurzen Phase unmittelbar nach dem Beginn des Friedensprozesses in Oslo hätten es die arabischen Israelis „nie gut gehabt“. Damals spielte Bakri zusammen mit einer jüdischen Kollegin Shakespeares „Romeo und Julia“. „Araber küsst Israelin“, schrieben die Zeitungen euphorisch über den augenscheinlich endlich überstandenen Konflikt. Bis der Mord an Jitzhak Rabin dem Traum ein Ende machte.
Ob er jemals daran gedacht habe auszuwandern? „Ich habe kein Geld, um aus meinem Dorf wegzuziehen oder auch nur mein Handy zu bezahlen“, lacht Bakri bitter und hebt das Telefon hoch. „Damit kann ich nur angerufen werden.“ Schauspieler – egal ob arabisch oder jüdisch – werden in Israel sehr schlecht bezahlt. Für seinen Sohn, der auch Schauspieler ist, wünscht er sich, dass er es im Ausland schafft. „Hier gibt es keine Kultur, kein Leben für ihn. Nur Kampf.“
Im vergangenen Herbst wurden vier Mitglieder seiner Familie verhaftet. Mithilfe zum Terrorattentat und Vernichtung von Beweismaterial lautet die Anklage. Drei Neffen Muhammad Bakris hatten, sollte sich der Verdacht gegen sie bestätigen, dem Palästinenser Jihad Hamada Unterschlupf gewährt, unmittelbar bevor er sich zusammen mit neun israelischen Zivilisten und Soldaten in einem Bus in die Luft sprengte. „Ich will nicht über meine Neffen reden“, sagt Bakri, „das macht mich nur traurig.“ Eine Sache müsse dennoch klar sein: „Mein Kampf richtet sich nicht gegen die Israelis, sondern gegen die rechten Extremisten in Israel und gegen Scharon, der in meinen Augen keinen anderen als den Teufel repräsentiert.“