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Archiv-Artikel

Daheim im fremden Stadion

Der Fußball-Traditionsverein Altona 93 hat seit dieser Saison eine neue Heimstätte. Nach 100 Jahren Fußball auf der Adolf-Jäger-Kampfbahn tragen sie nun ihre Heimspiele in der Regionalliga im umgebauten Stadion von Victoria Hamburg aus. Verein und Fans sind noch nicht heimisch geworden

„Früher konnten sich die Fans noch frei im Stadion bewegen. Heute sind die Blöcke abgetrennt und das Spielfeld umzäunt.“

VON JULIAN KÖNIG

Im neuen Stadion hat Jürgen Knak seinen Platz bereits gefunden. Er steht im Behinderten-Bereich vor der Haupttribüne und steckt sich eine an. „Eigentlich würde ich wie früher gerne sitzen“, sagt er. Doch auf der Haupttribüne herrscht Rauchverbot. Der Rentner wartet auf den Anstoß zwischen dem Hamburger Fußballverein Altona 93, kurz AFC, und den Gästen von Holstein Kiel. Es ist das zweite Heimspiel für die Altonaer.

Seit 57 Jahren geht Jürgen Knak zu den Heimspielen des Viertligisten. Gemeinsam mit Freunden hatte er seinen festen Platz auf einem der olivgrünen Plastiksitze auf der Haupttribüne des alten Stadions, der Adolf-Jäger-Kampfbahn in Hamburg-Bahrenfeld. Keine fünf Meter vom Spielfeld entfernt, konnte er das frisch gemähte Gras des Spielfelds riechen und die Schritte der Spieler hören.

Seit diesem Sommer ist alles anders. Der Verein musste bis zuletzt um die Teilnahme an der vierten Liga bangen – dem Deutschen Fußballbund war die Adolf-Jäger-Kampfbahn zu unsicher. Die rivalisierenden Fangruppen, meinten die Funktionäre, würden auf der Anlage nicht ausreichend getrennt. Das Grundstück wurde verkauft. Aus dem Erlös soll irgendwann eine neue Sportanlage mit Stadion entstehen, Altona 93 zog um ins Stadion des benachbarten Fußballvereins Victoria Hamburg, das für 600.000 Euro nach DFB-Vorschriften umgebaut wurde.

Altona 93 ist ein Verein für alle, zu den Spielen kommen sowohl HSV- als auch St. Pauli-Fans. Letztere entdeckten den Stadtteilnachbarn Anfang der 1990er Jahre für sich und machten in der Gegengerade eine Zweigstelle des „Schwarzen Blocks“ auf. Mit den St. Pauli-Fans kam frischer Wind ins Stadion, neue Schlachtrufe wie „Say uh ah Altona“, eine Abkupferung des legendären Anfeuerungsrufes englischer Fans für den Superstar Eric Cantona, wurden kreiert. „Die Stimmung im Stadion war gut“, erzählt Karsten Groth, Fanbeauftragter des Vereins.

Aus der damaligen Zeit sind einige geblieben – trotz zwischenzeitlichen Abstiegs in die sechste Liga. Weitere Fangruppen wie die „Meckerecke“, zwischen Clubheim und Haupttribüne, oder der „Zeckenhügel“, auf dem die Bauwagen-Bewohner aus der Gaußstraße standen, hatten ebenso ihren festen Platz im Stadion gefunden.

Die Fans rekrutieren sich aus allen Schichten. „Da stehen Banker und Punker nebeneinander und feuern gemeinsam Altona an“, sagt Knak. Bei Heimspielen kicken zahlreiche Kinder hinter dem Tor rechts von der Haupttribüne, während die Väter und Mütter das Spiel verfolgen.

Unter den Vereinsanhängern ist die Meinung über den Stadionumzug geteilt. Einerseits ist man froh, dass der Verein in der vierthöchsten deutschen Spielklasse bleiben konnte, andererseits schmerzt der Verlust der alten Heimat. Obwohl auch das neue Stadion von Bäumen und Sträuchern umschlossen ist, fehlt das Beschauliche. Früher konnten sich die Fans noch frei im Stadion bewegen. Heute sind die Blöcke voneinander abgetrennt, und das Spielfeld ist umzäunt. „Es ist wie in einem Käfig hier“, sagt Jürgen Knak. Bei einem Besuch beim FC St. Pauli war er erschrocken, als er dort einen Zaun vorfand. Der Kiez-Club spielte damals bereits im Profi-Bereich, Altona 93 ist nach wie vor ein Amateur-Club. Waren in der letzten Saison des AFC noch eine Handvoll Ordner im Stadion, wurden beim ersten Heimspiel gegen den Chemnitzer FC ein Vielfaches an Sicherheitskräften eingesetzt. Und auch die zweite Partie gegen Kiel wurde vom DFB als „Sicherheitsspiel“ eingestuft.

Überhaupt ist im Victoria-Stadion alles noch etwas befremdlich für die Anhänger. Standen die lautstarken Fans in der Adolf-Jäger-Kampfbahn noch an drei Orten verteilt, haben sie nun den gemeinsamen Stehplatz-Block B direkt neben der Haupttribüne. Der Blick auf das Spielfeld ist schlecht. Teile der Haupttribüne ragen ins Sichtfeld, die Auswechselbank der Spieler verdeckt Flächen des Feldes, und die Spielfeldlinien sind kaum zu erkennen.

Beim Spiel gegen Kiel sind die Fans des Gegners, die im neuen Stadion die gesamte Gegengerade als Block zugeteilt bekommen haben, permanent mit Gesängen zu hören – aus dem AFC-Block kommt dagegen kaum Unterstützung. Die wiederkehrenden Anfeuerungsrufe verstummen nach wenigen Sekunden und sind auf der Haupttribüne, die durch einen Windschutz abgegrenzt ist, kaum zu hören. Viele AFC-Fans machen einfach noch nicht richtig mit. „Wir müssen uns erst noch finden“, sagt Fanbeauftragter Groth.

So ganz zuhause sind die Fans des AFC noch nicht im neuen Stadion. Auf einer Werbebande gegenüber dem Fanblock steht „Hipp, Hipp, Hurra, Victoria.“ Es ist nicht das einzige Relikt, das an den zweiten Stadion-Nutzer erinnert. Die Haupttribüne ist komplett in dessen Vereinsfarben Gelb und Blau getaucht, und die Stadionkneipe heißt „Victoria Klause“ – immerhin wird sie vom ehemaligen AFC-Kicker Walter Frosch geführt.

Der Schlusspfiff. Auf der von den Bauwagen-Bewohnern selbst gebauten Anzeigentafel im Block C steht der Endstand: Altona hat 1 : 6 gegen Kiel verloren – Jürgen Knak ist restlos bedient. „Das ist schlimm“, sagt er und verabschiedet sich in die Stadionkneipe. In der Gegengeraden feiern die knapp 300 mitgereisten Kieler lautstark ihren Sieg.

Es muss sich etwas ändern im Block B, die Findungsphase möglichst bald zu Ende sein. Sonst drohen auch beim nächsten Mal Schmährufe aus dem Gästeblock wie: „Wir haben ein Heimspiel in Hamburg, Heimspiel in Hamburg.“ Und das tut weh.