piwik no script img

Archiv-Artikel

Viele Asthmakinder, wenige kundige Lehrer

Asthmakinder sollten am Schulsport teilnehmen, raten Mediziner. Viele Lehrer haben aber keine Ahnung, was sie bei einem Anfall tun müssen

Eltern sollten die Lehrkräfte informieren und ihr Kind früh zur Asthmaschulung schicken

Sportunterricht in einer Grundschule: Tom muss plötzlich husten und kann gar nicht wieder aufhören. Er japst und sein Kopf läuft rot an. Tom kann kaum atmen und gerät mehr und mehr in Panik. Genau wie seine Lehrerin. Sie weiß nicht, wie sie dem Jungen helfen soll, den Asthmaanfall zu überstehen. Ein Defizit, das sie mit vielen Kollegen teilt, wie eine Studie der Universität Kiel zeigt.

Die Wissenschaftler befragten in Schleswig-Holstein 120 Grundschullehrer, die Sport unterrichten. Das Ergebnis schockierte sie: Nur fünf Lehrkräfte konnten die Schritte des Notfallplans bei einem Asthmaanfall vollständig benennen und lediglich ein Lehrer besaß umfangreiches Wissen zum Thema Asthma und Sport. 116 der 120 Pädagogen hatten keine Ahnung, wie sie mit Asthmakindern umgehen müssen. Dabei wussten 71 Prozent von ein bis zwei betroffenen Jungen und Mädchen in ihrem Unterricht. Hinzu kommen die Inkognito-Asthmatiker: In Deutschland ist etwa jedes achte Kind unter zehn Jahren und jedes zehnte Kind unter 15 Jahren asthmakrank. Asthma bronchiale ist damit die verbreitetste chronische Erkrankung im Kindesalter.

Viele Lehrer verhalten sich im Sportunterricht sogar ausgesprochen falsch und können damit einen Asthmaanfall erst provozieren. Die Kinder zu Beginn einer Sportstunde einige Runde laufen zu lassen, ist weit verbreitet. Und grundfalsch, sagt einer der Studienautoren, Andreas Märzhäuser: „Wenn ein Asthmakind seine Leistung von null auf hundert steigern soll, werden seine Atmungsorgane zu stark belastet.“ Die Muskeln der Bronchien verkrampfen, die Schleimhäute schwellen an und bilden vermehrt zähen Schleim. Dadurch verengen die Bronchien, der Asthmatiker kann noch einatmen, aber das Ausatmen fällt ihm schwer – der Notfall ist da.

Um keinen Anfall zu riskieren, schließen manche Lehrer Asthmakinder vom Schulsport aus. Auch falsch, urteilt Märzhäuser. Die meisten Experten betonen heute, dass Asthmakranke von Sport profitieren können. Er kräftigt die Atemmuskeln, erhöht das Volumen der Lungen und fördert die Ausdauer – vorausgesetzt, der Asthmakranke trainiert richtig. Um zu starke Anstrengung zu vermeiden, rät Diplomsportlehrer Märzhäuser zu intervallartiger Belastung: „Ungeübte Asthmakinder sollten zunächst im Wechsel etwa 20 Sekunden laufen und dann rund 120 Sekunden gehen.“ So können sie ganz langsam Kondition aufbauen. Grundsätzlich empfehlen Mediziner Asthmatikern Ausdauersport mit sanften Bewegungen. Hierzu zählt der Bundesverband der Pneumologen Schwimmen, Joggen, Radfahren und Walking. Auch Tai-Chi und Yoga könnten sich positiv auf die Atmung auswirken, sagen die Lungenfachärzte. Außerdem: Bewegung fördert die körperliche und geistige Entwicklung eines Kindes. Und es macht kleine Patienten selbstbewusst, wenn sie ihre Krankheit durch Sport besser beherrschen können. Das Asthma sollte jedoch so behandelt sein, dass dem Kind „spontanes bewegungsreiches Spielen und Sporttreiben möglich ist“, betonen die Experten vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG). Dazu gehört, dass ein Asthmakind seine Medikamente wie verordnet einnimmt und stets ein Notfallspray dabei hat.

Sportlehrer sollten jedoch nicht nur darauf achten, dass Asthmakinder sich nicht überanstrengen. Sie müssten auch auf Umweltbelastungen Rücksicht nehmen, sagt Märzhäuser. Starken Pollenflug, hohe Ozonwerte oder Kälte können die empfindlichen Atemwege von Asthmakranken reizen und einen Anfall auslösen. Bei widrigen Bedingungen muss Sport im Freien also ausfallen.

Aber auch im übrigen Unterricht sollten Lehrer sich bewusst verhalten, fordert der Deutsche Allergie- und Asthmabund. Mangelnde Aufklärung führe zum Beispiel dazu, dass Kinder mit Heuschnupfen und allergischen Asthma im Frühjahr wichtige Klausuren schreiben müssten, kritisiert er. Die Folge: Schwächelnde Konzentration und Müdigkeit mindern die Leistungen.

Einen wichtigen Ansatzpunkt sehen die Kieler Wissenschaftler in der Ausbildung von Lehrern: Nur 2,5 Prozent der Befragten hatten in Studium und Referendariat mit Asthma zu tun. Die meisten Lehrkräfte eigneten sich ihr vorhandenes Wissen selbst an. „Es besteht ein dringender Schulungsbedarf“, diagnostizieren Märzhäuser und seine beiden Kollegen.

Aber auch die Eltern sind gefragt. Sie müssen Lehrer über die Erkrankung und den Umgang mit ihrem Asthmakind informieren. Allen hilft es außerdem, wenn das Kind so früh wie möglich eine Asthmaschulung mitmacht. Dort lernt es, worin seine Krankheit besteht, wie es Auslöser vermeidet und was es bei einem Anfall tun muss.

MARTINA JANNING