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Archiv-Artikel

Die Electro-Porno-Wissenschaftler

Das legendäre Detroiter Duo Dopplereffekt spielte am Samstagabend in der Maria eines seiner äußerst seltenen Konzerte. Zu expressionistischer Synthesizermusik verhandelte die germanophile Konzeptband Fragen von Technik, Eugenik und Sex

Die Stücke tragen Titel wie „Cellularphone“, „Superior Race“ oder „Plastiphilia“

VON ULRICH GUTMAIR

Alles verläuft nach Plan. Wie angekündigt betreten Dopplereffekt kurz nach 0:30 Uhr die Bühne des Maria am Ostbahnhof. Der Club befindet sich nahe des Zentrums der ehemaligen Reichshauptstadt Berlin. Die Nationalsozialisten behaupteten, ihre staatlichen Maßnahmen von den Nürnberger Rassegesetzen bis zum Euthanasieprogramm stützten sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse. Eugenik, Rassenlehre und Sozialdarwinismus bildeten den theoretischen Rahmen für die Pläne einer germanischen Zivilisation.

Die Erste, beim Label Dataphysix Engineering Intl erschienene EP des Detroiter Projekts Dopplereffekt hieß „Fascist State“. Als Produzenten werden Rudolf Klorzeiger, Kim Karli und William Scott genannt. Auf dem Cover ist der Ausriss einer Kopie eines Zeitungsfotos mit transparenten Klebestreifen angebracht, auf dem ein Mann im Anzug mit erhobenen Händen zu sehen ist. Er wird von einer links ins Bild ragenden Hand mit Pistole bedroht. Die sechs Stücke von „Fascist State“ bringen einen minimalistischen, streng-robotischen Electric Boogie zur Ausführung. Sie tragen Titel wie „Cellularphone“, „Superior Race“ oder „Plastiphilia“. Eine kleinere Auflage derselben EP mit dem Titel „Faschist Staat“ wurde mit einem Beiblatt ausgestattet, das die Stücke in deutscher Sprache ankündigt. Dort heißen diese Titel „Beweglich telefon“, „Uberlegen rasse“ und „Plastikficken (schwarz und grau)“.

Die meisten Stücke von „Fascist State“ sind instrumental. Wenn Texte gesungen werden, beschränken sie sich aufs Nötigste. In „Wissenschaftler“ heißt es: „Sitting in a laboratory. Conducting Experiments. Analysing Data. I am a scientist.“ Es klingt wie die Parodie eines Kraftwerk-Hits und bestätigt Kodwo Eshuns These, dass Detroit Techno Ergebnis einer Umkehrung der üblichen popkulturellen Einflussströme ist. Das Bluesdelta der neuen elektronischen Musik des schwarzen Amerika liege in Düsseldorf. Dopplereffekt, die selten auftreten und nie Interviews geben, haben ihren Besuch in der ehemaligen Reichshauptstadt mit schwarzen Postern ankündigen lassen. Ihr Name steht über Stern, Hammer und Sichel.

Die beiden nehmen vor je einem sich gegenüber stehenden Keyboards Platz. Sie werden von nun an fast regungslos vor ihren Instrumenten verharren. Der Mann zur Linken, nennen wir ihn Rudolf Klorzeiger, trägt schwarze Stoffhosen. Dazu schwarze Lederschuhe, ein schwarzes, kurzärmliges Hemd. Nur seine linke Hand befindet sich in ständiger Bewegung. Wenn man genauer hinsieht, ist es vor allem der Zeigefinger, der rhythmisch Operationen in der Luft vollführt, deren Absicht unklar bleibt. Hin und wieder drückt er eine Taste der Klaviatur. Bei ihm dürfte es sich um Gerald Donald handeln, die eine Häfte des nicht weniger sagenumwobenen Duos Drexciya.

Die Frau ihm gegenüber, vermutlich Kim Karli, hat ihre Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengeführt. Sie trägt einen gut sitzenden, aber auch nicht allzu eleganten Hosenanzug, dessen Farbe schwer zu bestimmen ist. Die meiste Zeit sitzt sie nur da, selten spielt sie auf ihrem Instrument. Die beiden sähen wie Büroarbeiter ohne Aussicht auf Kundenkontakt aus, trügen sie nicht schwarze Augenmasken, das traditionelle S/M-Accessoire. Neben Technik und Eugenik sind Sex und Pornografie wesentliche Elemente des Dopplereffekt-Programms.

Auf Dopplereffekts vielleicht berühmtesten Stück „Sterilisation (Racial Hygiene and Selective Breeding)“ von 1997 tritt Kim Karli als Helena Eichmann in Erscheinung. „Sterilisation“ beginnt mit einer Vocoderstimme und dem Satz: „We had to sterilize the population“. Am Samstagabend spielen Dopplereffekt aber keinen ihrer biopolitischen Klassiker. Der Sound ist weniger minimal, ab und zu erinnert die Musik an expressionistische Synthesizermusik, die manchmal als Soundtrack bei Sciencefictionfilmen zu hören ist. Texte sind abgesehen von einer Ausnahme nicht zu hören. Wie der Großteil der Musik werden auch sie als Playback eingespielt.

Hinter Dopplereffekt werden Uhren projiziert, die vorwärts und rückwärts laufen. Hände sind zu sehen, die dreidimensionale geometrische Strukturen halten. Dazwischen sieht man Sendeanlagen, etwa die Kugel des Berliner Fernsehturms. Textelemente verweisen auf die Quantenphysik. Die gelungene Erfassung des Higgs-Teilchens wird vermeldet. Nach einer guten Stunde gehen der Afroamerikaner Klorzeiger und die kaukasische Frau Karli alias Eichmann wortlos und schnellen Schritts von der Bühne. Sie verlassen die Garderobe bald Richtung Hotel. Es ist zu hören, dort warte ihre acht Jahre alte Tochter.

Bis 1968 sind in den USA alle Formen der sogenannten Rassentrennung für unvereinbar mit der amerikanischen Verfassung erklärt worden. Darunter Gesetze, die „gemischtrassige Ehen“ aus eugenischen Gründen verboten hatten. In den meisten nicht katholischen Staaten des Westens wurden im frühen 20. Jahrhundert Gesetze mit eugenischem Hintergrund erlassen, darunter in Kanada, Schweden und die Schweiz. Meist zielten sie auf die Sterilisation Geisteskranker und wurden erst in den Siebzigern wieder abgeschafft. Die letzte Zwangssterilisation in den USA wurde 1978 in Orgeon vorgenommen.