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Archiv-Artikel

Gelangweilt an der Seite der Macht

Der mexikanische Außenminister Jorge G. Castañeda, der Vorzeigeintellektuelle im Kabinett des Vicente Fox, hat seinen Rücktritt eingereicht. Halb will er nicht mehr, halb will er mehr – von einer eigenen Partei bis zur eigenen Präsidentschaft

von ANNE HUFFSCHMID

Wie der mexikanische Präsident Vicente Fox am Mittwochabend vor Journalisten bestätigte, hat sein Außenminister Jorge G. Castañeda den Rücktritt eingereicht. Der Chefdiplomat mit linksintellektueller Vergangenheit galt als ehrgeizigster Minister im Wende-Kabinett des seit zwei Jahren amtierenden Präsidenten. Sein Rücktritt, den die New York Times als Ausdruck von „Langeweile“ deutet, kam daher keineswegs überraschend. Denn Außenpolitik ist im Little Brother der Vereinigten Staaten von jeher ein undankbares Geschäft. So wurde sein ambitioniertes Projekt eines Migrationsabkommens mit den USA, das den – je nach Zählweise – drei bis fünf Millionen „illegalen“ mexikanischen WanderarbeiterInnen eine Art Gastarbeiterstatus verleihen sollte, nach den Septemberattentaten von Washington bis heute auf Eis gelegt.

Zwar bezeichnete Castañeda sich selbst immer wieder, wie etwa letztes Jahr gegenüber der taz, „natürlich als Linken“. Ein Radikaler oder Marxist, wie vielfach zu lesen ist, war der 49-jährige Publizist und Politologe jedoch nie. Vielmehr pflegte der Diplomatensohn stets beste Beziehungen zu den jeweils Mächtigen.

Lange Jahre gehörte er zum Beraterkreis um den ehemaligen Präsident Carlos Salinas, wechselte zu Beginn der 90er zum linken Präsidentschaftskandidaten Cuauhtémoc Cárdenas und wurde – nach dessen Scheitern – zu einer der Schlüsselfiguren für den Wirtschaftsliberalen Vicente Fox.

Der Rücktritt Castañedas wurde von Presse- und Parteienvertretern gestern mit spürbarer Erleichterung aufgenommen – kurioserweise quer durch die politischen Lager. Denn bei Presse und Parlament galt der 49-jährige Realpolitiker als unnahbar, arrogant und auch diplomatisch wenig erfolgreich.

Zweifellos schwächt Castañedas Weggang, der erste Kabinettswechsel seit dem Antritt der Fox-Regierung, den ohnehin angeschlagenen Staatschef. Im Juli dieses Jahres stehen Parlamentswahlen bevor, bei denen der vormals regierenden Revolutionär-Institutionellen Partei (PRI) gute Chancen auf einen Ausbau ihrer Kongressmehrheit und für ein mögliches Comeback für die Präsidentschaftswahlen 2006, vorausgesagt werden. Einen Nachfolger will Fox am kommenden Montag benennen. Als mögliche Anwärter werden der derzeitige Wirtschaftsminister Luis Ernesto Derbez, der Vorsitzende der konservativen Partei der Nationalen Aktion (PAN) sowie der Botschafter in den USA, Juan José Bremer, gehandelt. Alle drei gelten, im Unterschied zu Castañeda, als diplomatische Low-profile-Politiker.

Dass dieser sich nun von der politischen Bühne verabschiedet, ist unwahrscheinlich. Schon seit längerem sind Gerüchte über die Gründung einer eigenen Partei im Umlauf. Und auch Ambitionen, vom zweiten zum ersten Mann im Staate zu werden, hatte Casteñeda selbst nie ausgeschlossen.