: Zerrissene Zedernrepublik
Im Libanon hat jede gesellschaftliche Gruppierung ihre ganz speziellen Strandabschnitte. Die Armen vergnügen sich in vermüllten Anlagen, die Reichen amüsieren sich in privaten Luxusrefugien. Es gibt es nur noch wenige Strände, die unberührt sind
Offizieller Staatsname: Libanesische Republik Lage: Am östlichen Ende des Mittelmeers. Der Libanon wird auch die „Schweiz des Nahen Ostens“ genannt Hauptstadt: Beirut Bevölkerungszahl: Etwa vier Millionen Einwohner (2008) Staatsform: Republik Sprache: Amtssprache ist Arabisch. Daneben sind auch Französisch und Englisch weit verbreitet Religion: Die größte Glaubensgemeinschaft gehört zum Islam, gefolgt vom Christentum
AUS beirut JASNA ZAJCEK
Jounieh, libanesischer Urlaubsort, sonntags im späten August. Aus den Boxen dröhnen die Hits der Siebziger-, Achtziger- und Neunzigerjahre. Das kleine Schwimmbecken ist überfüllt. Viele dicke Kinder plantschen mit allerlei Gummigetier. Zur Linken erstreckt sich das Panorama von Beiruts Cargo- und Militärhafen, in der Luft schwebt der Doppelmayr-Teléferique, die Hochseilbahn, die Ausflügler auf den 600 Meter hohen Harissa-Gebirgszug über Jounieh bringt. An diesem Abschnitt der Levanthe duftet es nicht nach Jasmin und Kardamon, es riecht nach Pommes frites und Autos ohne Kat. Über dem betonierten Strand liegen die Abgase zahlreicher Motorboote und Jetskis. Im Hotel Bel Azur in Jounieh, dem Urlaubsort nördlich von Beirut, entspannen sich Familien bei Whiskey und Wasserpfeife auf Plastikliegen.
Das Mittelmeer am kleinen Sandstrand des angeblichen Vier-Sterne-Hotels ist keineswegs schön blau, sondern bräunlich, der Ölfilm auf der Oberfläche schimmert in Regenbogenfarben. Dutzende Kinder plantschen in der fischfreien dreißig Grad warmen Brühe, stets unter Aufsicht der philippinischen oder äthiopischen Kindermädchen, die nicht schwimmen können. Ihre „Madames“, libanesische Christinnen, beharren darauf, „Phönizierinnen“ und keine Araberinnen zu sein. Sie aalen sich in viel zu engen Designerbikinis. Der Fitnesswahn der westlichen Welt hat den Libanon noch nicht erreicht. Kosmetische Operationen und Fettabsaugungen sind billig und gesellschaftlich anerkannt. Öl ohne Lichtschutzfaktor ist der Dernièr Cri und die Meinung der anderen so wichtig wie der ausgiebige, wöchentliche Termin im Beauty-Salon.
Auch die „letzten Kreuzritter des Nahen Ostens“, wie sich die ehemaligen Soldaten der christlichen Milizen gern nennen, treffen sich sonntags im im Bel Azur, zum Tauchen nach versunkenen Panzern und U-Booten. Um etwas unter Wasser entdecken zu können, muss durch eine schleimige Schicht getaucht werden, da Müll und Bootsöl gern vor der Küste entsorgt werden. Auch wenn die Unterwasserjagd mit Pressluftflaschen und Harpune international verboten und geächtet ist, kümmert das hier keinen. „Everything illegal is legal in Lebanon!“, lacht ein mit kostspieliger Hightech-Ausrüstung ausgestattete Jäger, der auf seinem 45-minütigem Tauchgang dann doch keinem einzigen Fisch begegnete.
Die Palästinenser aus den Flüchtlingslagern treten im Strand- und Nachtleben ausschließlich als Security-Leute und Türsteher auf, Universitäten zu besuchen, ist ihnen im Libanon verwehrt. Im ebenfalls christlich geprägten „Bain Militaire“, dem exklusiven Beachclub der Armeeangehörigen an Beiruts neuem Leuchtturm, ist vor allem eines erkennbar: Auswüchse einstigen Steroidmissbrauchs. Bei fast jedem Mann. Was ihnen der Apotheker anscheinend nicht verriet oder was die Verwender vielleicht auch nicht wahrhaben wollen: Männer bekommen Brüste, wenn die Wachstumshormone aus dem Körper schwinden. Und nicht wenige ehemaligen Soldaten tragen nun Körbchengröße C.
Die Jungs und Teenager der Hisbollah aus dem zerstörten Beiruter Süden haben kein Geld für die zwanzig bis vierzig Dollar Eintritt für die diversen Strand- oder gar Jachtclubs. Sie springen an der Corniche, der Strandpromenade von Beirut, einfach von rostigen, mit Stacheldraht umgebenen Stahlträgern aus acht Meter Höhe in das Meer. Der permanente Luftverkehr, zu Helikoptern der UN und der libanesischen Armee kommen Verkehrs- und Privatflugzeuge sowie einzelne Überwachungsflugzeuge der israelischen Armee, geben dem Szenario einen letzten kuriosen Schliff. Die Teenager tragen alte Baumwollunterhosen. Ihre Mütter und Schwestern plantschen derweil zwischen den Felsen in voller islamischer Montur. Kommen sie aus dem Wasser, so zeigt die lange, weite, nun aber nass und eng anliegende islamisch korrekte Kleidung alle Rundungen ihrer Figuren. Doch die Hauptsache ist: Arme, Rumpf, Beine und Kopf müssen bedeckt sein, egal ob durch trockenen oder nassen Stoff. Auf der Corniche, treffen sich Männer aller Konfessionen zum Angeln, ärmere Familien picknicken ebenerdig neben parkenden Autos, während die Reichen Staus mit ihren überdimensionierten Autos und gepanzerten Sports Utility Vehicles an der Hauptverkehrsstraße neben der Promenade verursachen.
Riviera Hotel an der Corniche hat gerade die exklusivste neue „Beachlounge“ direkt neben dem Strand der Armen eröffnet. Für zehn Dollar kann der Normalsterbliche hier seine Bräune an zwei kleinen Pools und einer großen Bar zur Schau tragen, wer aber etwas auf sich hält, kann durch die bis zu 1.200 US-Dollar teure Miete eines privaten Strandzelts mit Whirlpool mit Massagefunktion, beeindrucken. Im Riviera steigen vor allem reiche Saudis und Golfstaatler, gern auch ohne ihre zahlreichen Frauen und Kinder ab. Denn für schöne und auch leichte Mädchen war Beirut schon in den Sechzigern bekannt, als ein Vergleich mit Paris noch möglich war. Die Jeunesse dorée, die ihr geerbtes Geld gern und leicht verschwendet, zieht Clubs wie das „Oceana“, eine halbe Stunde südlich von Beirut, vor. Für zwanzig US-Dollar werden hier immerhin fünf Pools geboten, einer davon in einem Areal, das nur für Erwachsene reserviert ist, selbstverständlich mit Poolbar und privaten Strandzelten, unbehelligt vom Nachwuchs; die Kinder können den ganzen Tag lang betreut in der „Kids Area“ spielen. Sonntags übernehmen die zwanzig- bis dreißigjährigen Partypeople die Pools, sie kommen direkt nach ihren langen Diskonächten, um zu ohrenbetäubender Progressive House, Trance und Techno-Musik an und in den Pools weiterzufeiern. Die traditionelle Kost des Libanons ist hier im „Oceana“ nicht angesagt. Kulinarisches aus den USA wird vorgezogen. Die verschiedenen Poolbereiche sind nach den US-Ketten, die die Poolabschnitte gepachtet haben. Die Sorge um den Stil der Pediküre, die Frisur und die Sonnenbrillenmarke scheinen wichtiger als die omnipräsenten und gewöhnungsbedürftigen Körperformen, die US-Food-Kultur erwachsen lassen.
Doch da der Libanon ein Land voller Gegensätze ist, gibt es auch einen Gegenentwurf zu der kommerziellen Ausbeutung der hedonistischen Sehnsüchte der reichen christlich und sunnitisch geprägten Bevölkerung. Tief im Süden, einen Kilometer vor dem Hauptquartier der Vereinten Nationen, drei Kilometer vor der israelischen Grenze, wo das Hinterland noch voller Minen ist, bauten zwei engagierte Tierschützerinnen ihren Familiensitz in einer am Strand gelegenen Bananen- und Zitronenplantage zu einem kleinen Gästehaus, dem „Orange House“, aus. Eine Übernachtung inklusive einem unter Mimosen und Hibiskusbäumen servierten Frühstück aus organischen, selbst angebauten Zutaten kostet 50 US-Dollar, so viel wie eine Viertel Flasche Champagner in einer Beachlounge in der Hauptstadt. Dazu bekommt man die Aussicht auf die fein gestriegelten Ziegen, die die Milch für den Frühstückskäse geben, schauen zu, ebenso wie die zahlreichen herumflirrenden Kolibris und der freilebende Papagei.
Von Juni bis September beobachten Mona Khalil und Habiba Fayad an einem der letzten naturbelassenen Strände des Landes Karett- und Suppenschildkröten. Sie führen Buch über die Eiablage, zählen die Weibchen, die hier seit Millionen von Jahren, lange vor der Erfindung von Religionen und Landesgrenzen und Beachclubs in einem Land, dessen Wasservorräte noch für zehn Jahre reichen, ihre Eier ablegen, schützen die Nester im Sand durch Gitter vor Füchsen und Hunden. Und für zehn Dollar Gebühr, die dem Schutz der vom Aussterben bedrohten Tiere zu Gute kommen, kann der meist ausländische Öko-Tourist hier von Mitte August bis Mitte September helfen, die Eier vorsichtig auszugraben und das einmalige Erlebnis genießen, hunderte von herzallerliebst tapsigen Mini-Dinosauriern in das Mittelmeer krabbeln zu sehen. Und wenn, wie die Statistik besagt, auch nur eine von hundert Babyschildkröten zwanzig Jahre überlebt, zur Geschlechtsreife kommt und ihre Eier dann wieder am Orange Beach ablegen will, muss sie es nur noch schaffen, den Müll, den die UN-Soldaten ins Meer schmeißen, zu umschiffen. Sie darf keine einzige schwimmende Plastiktüte mit ihrer Lieblingsspeise, Quallen, verwechseln, da das ihren Tod bedeuten würde. Da wegen der Erwärmung des Mittelmeers die Quallenpopulationen stark zunehmen, ebenso wie von Kugelfischen und Barrakudas, die ihren Weg durch den Suezkanal aus dem Roten Meer finden, besteht doch noch ein wenig Hoffnung, die Reptilienarten trotz aller Widrigkeiten zu erhalten. Denn ab einer Nesttemperatur von über 30 Grad wachsen mehr Weibchen in den Eiern heran. Hier duftet die Luft endlich wieder nach Jasmin und Kardamon.