: Partymusik für alle
Die Frankfurter Diskothek Dorian Gray eröffnet am Potsdamer Platz neu. Szenen wie im alten Techno-Tempel werden sich hier wohl nie abspielen
Das Frankfurter Dorian Gray war eine der ungewöhnlichsten Diskotheken in Deutschland. 1978 zu „Saturday Night Fever“-Zeiten im Keller des Frankfurter Flughafens eröffnet, richtete sich der Club mit gediegenem, weitläufigem Interieur an den internationalen Jetset, dem hier eine Art deutsche Version des „Studio 54“ geboten werden sollte. Für die Musikanlage wurden sogar eigens Tontechniker aus New York eingeflogen.
Da die internationale Schickeria trotz direktem Flughafenanschluss nur zögerlich nach Frankfurt am Main kam, war es wohl ein Glücksfall für die Diskothek, dass der DJ Talla 2XLC dort in den Achtzigerjahren seinen „Technoclub“ eröffnete und das Dorian Gray zu einer der ersten Discos machte, in denen man nächtelang zu Techno tanzen konnte. Dass das Dorian Gray im Flughafen exterritoriales Gebiet war und es darum keine Sperrstunde gab, dürfte zum Erfolg beigetragen haben. Am 1. Januar 2001 musste es nach 22 Jahren wegen verschärfter Brandschutzrichtlinien schließen.
Nun soll es in Berlin am Potsdamer Platz neu eröffnen. In den Räumen der pleite gegangenen Disco Blu, die im vergangenen Oktober wegen mangelnden Publikumsinteresses schließen musste, startet am 31. Januar rechtzeitig zur Berlinale ein neues Dorian Gray. Auf über 1.000 Quadratmetern auf drei Ebenen sollen hier demnächst viermal pro Woche bis zu 1.000 Personen feiern. Knapp eine Million Euro soll der Umbau der Diskothek kosten, in die schon die vorangegangenen Inhaber immerhin sieben Millionen Mark investiert haben. Die neuen Besitzer versprechen die „ultimative Laseranlage“ und „Multimedia-Equipment“, einen eigenen VIP-Bereich mit eigener Küche und separater Tanzfläche sowie einen „Undercover-Eingang“. Besitzer sind Michael Presinger und der ehemalige Rennfahrer Gerd Schäfer, denen 30 Diskotheken, Bars und Restaurants in Süddeutschland gehören. Nach Berlin geholt hat sie die Immobilientochter von Debis, die den Potsdamer Platz entwickelt hat.
„Auch schwierige Standorte und problematische Objekte werden zum Erfolg geführt“, heißt es in einer Unternehmensbroschüre von Schüler & Presinger keck. Mit der Diskothek am Potsdamer Platz haben sich die Gastronomen in der Tat eine besondere Herausforderung ausgesucht: Nachts ist der Platz abgesehen von einigen Kinobesuchern leer. Und in Berlin gibt es eine gut entwickelte, vitale Clubszene, die zur Zeit allerdings unter den Folgen der nationalen Rezession leidet.
Gegensteuern wollen Presinger und Schüler mit „Fame und Beauty“, und brüsten sich mit ihren Kontakten zu Prominenten „von Heiner Lauterbach bis Roberto Blanco“, die dem Laden Glamour verleihen sollen. Gleichzeitig wollen sie die Preise moderat halten. Presinger kündigt einen Eintrittspreis von „unter 10 Euro“ an. Am Dienstag soll es eine After-Work-Party geben, am Donnerstag einen Schwulenabend, am Freitag eine Nacht für Leute über 30, und am Samstag „eine große Party für alle“.
Ob das die als Zielgruppe anvisierte „Jeunesse Doreé“ aus dem 90 Grad und dem Cookies an den Potsdamer Platz lockt, muss man abwarten. 2 Millionen Euro Umsatz wollen die neuen Besitzer mit dem Dorian Gray erwirtschaften, außerdem wollen sie sich mit Events für große Firmen etwas dazuverdienen. Die DJs, die wie Sven Väth, DJ Dag, Talla und Mark Spoon in Frankfurt ihre Laufbahn begonnen haben, sollen in Berlin allenfalls für Gastspiele gebucht werden. „Das ist auch eine Kostenfrage“, sagt Finanz-Chef Presinger, und sein Kompagnon Schüler betont, „dass die meisten berühmten DJs auch nicht mehr können als die anderen“. Ein Resident-DJ steht noch nicht fest, auch wenn bei einer Pressekonferenz „der Sohn von Udo Jürgens“ als Kandidat erwähnt wurde. Mit Technotrance Frankfurter Prägung wollen Presinger und Schüler ihre Klientel aber ohnehin nicht verschrecken, sondern setzen auf „Partymusik“.
Ein Techno-Feiertempel wie das alte Dorian Gray ist also am Potsdamer Platz nicht vorgesehen. Es ist wohl auszuschließen, dass sich in diesem Club Szenen abspielen werden wie die, die der Kölner DJ Hans Nieswandt in seinem Buch „plus minus acht“ aus dem alten Dorian Gray in Frankfurt beschreibt: „Was sich meinen Augen bot, war eine bacchantische Szenerie. Die meisten Leute waren seit Freitagabend hier und hatten seitdem den Klub weder verlassen noch geschlafen. Wie in einem Drogenfilm glitten schwitzende Körper an mir vorbei durch den bunten Nebel, gaukelten mir mit den Armen etwas vor, starrten mich, den fremden Neuankömmling, teils teilnahmslos, teils durchgedreht, teils liebevoll an, während ich die Plattenkiste durch das endlose Dorian-Gray-Labyrinth trug …“ TILMAN BAUMGÄRTEL