: Tapferer Applaus für Topspin-Duelle
Frauen-Tischtennis ist ein Sport, der vor allem in deutschen Dörfern auf höchstem Niveau stattfindet. Dass 3B aus einer Großstadt kommt, ist daher kein Standortvorteil. Dennoch gewinnen die Berlinerinnen am Samstag in Lichtenberg souverän
von THOMAS WINKLER
Die Plattenbauten tragen mit einem gewissen Stolz einen adretten Anstrich, bunter als der alte. Es ist Samstagnachmittag, und die Lichtenberger tragen prall gefüllte Einkaufstüten durch die klirrende Kälte nach Hause, sich offensichtlich nicht dessen bewusst, dass wenige Meter entfernt europäischer Spitzensport zur Aufführung gelangt. In der Umgebung der Sporthalle am Anton-Saefkow-Platz weist kein Plakat, kein Wegweiser, nichts hin auf das anstehende Spiel der Tischtennis-Bundesliga zwischen 3B Berlin und dem MTV Tostedt. Dort stehen heute aktuelle und ehemalige Nationalspielerinnen aus acht Ländern an der Platte. Europameistertitel, bei den Senioren und in der Jugend, sind versammelt, Landesmeisterinnen, Olympiateilnehmerinnen, europäische Top-Ten-Spielerinnen.
Der Hallensprecher begrüßt den „Gast aus Niedersachsen“ und bittet „die beiden Teams zur Aufstellung“. Schon in den beiden einleitenden Doppeln ist alles drin, was Tischtennis zu bieten hat: Topspin-Duelle, reaktionsschnelle Blockbälle, fies unterschnittene Abwehrschläge, harte Schüsse, kurze Noppen, lange Noppen, geduldige Verteidigung und kompromissloser Angriff. Aber die Ränge sind nur spärlich gefüllt, kaum mehr als 80 Zuschauer beklatschten tapfer die Aktionen der 3B-Spielerinnen. Gegnerische Punktgewinne – und seien sie in auch noch so schönen Ballwechseln erzielt worden – werden mit freundlicher Sturheit weitestgehend ignoriert.
Die Beklatschten amtieren als deutsche Vizemeisterinnen und Europapokal-Siegerinnen. Deshalb verleiht der Berliner TT-Verband vor dem Spiel Ehrennadeln an die Chinesin Ran Li, die Litauerin Ruta Budiene, Veronika Pavlovitch aus Weißrussland, Katalin Harsanyi aus Ungarn und die Russin Irina Palina. Einer, von dem man es nicht erwarten sollte, grummelt dagegen ein wenig: „Das mit dem Europa-Cup war eigentlich nicht so günstig.“ Rainer Lotsch möchte am liebsten sportlicher Leiter von 3B genannt werden, denn „Manager ist so ein saublöder Begriff“.
Als solcher hatte er zu Saisonbeginn Probleme, den Sponsoren klar zu machen, dass die Erfolge der vergangenen Spielzeit in dieser kaum mehr zu überbieten sein dürften. Im Europapokal sind die Titelverteidigerinnen denn auch bereits im Viertelfinale gescheitert, was „ein bisschen wehtat“, so Lotsch, aber in der Bundesliga hofft man weiter darauf, noch „ein Highlight zu setzen“. Das heißt: mindestens die neuerliche Vizemeisterschaft. Dazu sollte man in der Punktspielrunde allerdings Zweiter oder Dritter werden, um in den Play-offs der besten vier Teams dem großen Favoriten Langweid erst einmal aus dem Weg gehen zu können.
Auf Kurs in die Play-offs
An diesem Samstag ist der MTV Tostedt kein Hindernis auf dem Weg zu diesem Ziel. Der Verein aus einem Dorf südwestlich von Hamburg kämpft als momentaner Tabellenletzter gegen den Abstieg und muss zudem auf seine verletzte Nummer eins verzichten. So gewinnt 3B sicher mit 6:2 und festigt seinen dritten Platz in der Bundesligatabelle. In der Pause, das Spiel ist lange schon entschieden, serviert die Sportklause Buletten, Bockwurst, Wiener und, wie es sich gehört, ungetoastetes Toastbrot.
Auch wenn der gebotene Sport das Niveau der Gastronomie deutlich in den Schatten stellt, und auch wenn Frauen-TT weitaus attraktiver ist als das ungleich schnellere Spiel der Männer mit sehr viel kürzeren Ballwechseln: Spitzentischtennis ist kein einträgliches Geschäft für Frauen. Selbst die absoluten Topspielerinnen wie die mehrfache Europameisterin Nicole Struse vom amtierenden Meister FSV Kroppach verdienen kaum mehr als 50.000 Euro im Jahr für ihre Bundesligaeinsätze. Doch während diese Spitzenkräfte wenigstens noch persönliche Sponsoren finden, spielt die breite Masse der hierzulande tätigen, meist osteuropäischen Könnerinnen für ein Taschengeld, das kein Oberligakicker als Benzingeld durchgehen lassen würde.
So ist Tischtennis ein Sport, der vor allem in deutschen Dörfern auf allerhöchstem Niveau stattfindet. In der Frauenbundesliga ist 3B das einzige Team aus einer Großstadt. „Sicherlich interessiert die Spielerinnen die Stadt“, sagt Lotsch, „aber ein Standortvorteil ist das nicht, weil auf den Dörfern leichter Sponsoren zu finden sind.“ In Tostedt oder vergleichbaren Ansiedlungen kann es sich der Metzger kaum leisten, die örtlichen Ballzauberinnen nicht zu unterstützen, will er nicht seine Kunden verlieren.
Auch in Berlin sichert nicht nur der Namenssponsor, eine Dienstleistungsgruppe, den sportlichen Erfolg, sondern zusammen mit dem Landessportbund ebenfalls eine ganze Latte von kleineren Geldgebern. In der Halle grüßen von Transparenten an der Wand ein Hotel, ein Autohaus und ein TT-Shop. Auf den Banden leuchten Reisebüro, Makler und ein Restaurant „mit kroatischer und internationaler Küche“.
Die geben genug, um die Multikultitruppe finanzieren und demnächst vielleicht sogar Tanja Hein-Hofmann, die aktuelle deutscher Nummer drei, verpflichten zu können. Lotsch hofft ohnehin, dass in den nächsten Jahren der eigene Nachwuchs nachrücken könnte. Im Zweitliga-Team spielen bereits 14- und 17-jährige Talente und unlängst wurde man mit dem Grünen Band eines Bankkonzerns für vorbildliche Nachwuchsförderung ausgezeichnet – als allererster Berliner Tischtennisverein. Aber all das braucht Zeit, weiß Lotsch. „Wir müssen die Kirche im Dorf lassen“, sagt er. Wahrscheinlich muss Berlin wirklich erst ein Dorf werden, um zu würdigen, was am Anton-Saefkow-Platz gespielt wird.