: Hewitt spielt gegen die eigene Bilanz
Der Australier würde gern auch bei den heute beginnenden Australian Open einmal zeigen, was er kann
MELBOURNE taz ■ Auf überlebensgroßen Fotografien prangen die Titelverteidiger über dem Haupteingang. Ein Mann und eine Frau, beide lächelnd, mit großem Pokal in der Hand. Schwer vorstellbar, dass dieser Tage irgendwer an den Fotos vorbei kommt, der die Frau darauf nicht erkennt – schließlich ist es Jennifer Capriati, viel besungene Siegerin der Australian Open 2001 und 2002. Aber der nette Herr nebenan? Nun, selbst der überraschende Sieg vor einem Jahr hat aus Thomas Johansson keine bekannte Größe gemacht, und das wird bis auf weiteres auch so bleiben; der Schwede ist verletzt und fehlt diesmal. Aber dennoch ist dessen Bild über dem Eingang eine plakative Erinnerung daran, was passieren kann, wenn einer in unübersichtlicher Lage die Gunst der Stunde nutzt.
Schon nach drei Tagen des Turniers 2002 waren die ersten fünf der Setzliste bei den Männern nicht mehr dabei – Turnierdirektor Paul McNamee wünscht sich sehnlich, dass ihm eine ähnliche Folge von Niederschlägen diesmal erspart bleiben möge. Keine Frage, wen die Australier am liebsten als Sieger sähen: Lleyton Hewitt natürlich. Noch lieber hätten sie sicher Pat Rafter gehabt, doch nachdem der sich vor ein paar Tagen endgültig und unwiderruflich vom Tennis verabschiedet hat, kann daraus ja nichts mehr werden.
Hewitt, die unbestrittene Nummer eins anno 2002 und zum Abschluss des Jahres auch Sieger beim Masters Cup in Schanghai, hat sich nach seinem Auftritt beim Hopman-Cup in Perth zum Jahreswechsel noch ein paar verschärfte Trainingseinheiten gegönnt; er ist garantiert in besserer Verfassung als vor einem Jahr. Damals verlor er, sichtlich geschwächt von gerade überstandenen Windpocken, in der ersten Runde, und es dauerte Wochen, bis er sich von diesem Schock erholte.
Ohnehin: Ausgerechnet in Melbourne hat Hewitt bisher die schlechteste Bilanz bei den vier Grand-Slam-Turnieren, er ist noch nie weiter als bis ins Achtelfinale gekommen. Ganz im Gegensatz zu Andre Agassi, der in sechs Versuchen dreimal den Titel gewann, zuletzt 2000 und 2001. Gemessen an der Form, die der am Wochenende beim Sieg gegen den Franzosen Sebastien Grosjean beim Einladungsturnier in Kooyong zeigte, steht er auf der Liste der Favoriten ziemlich weit oben, aber das ist nicht gerade neu. Der Mann ist immer ein Kandidat im Kreise der üblichen Verdächtigen. Dennoch hat sich Agassi, wie diverse Kollegen in den vergangenen Jahren, wieder mal für einen anderen Termin der Australian Open ausgesprochen (März statt Januar), doch dazu wird es vor 2007 nicht kommen, wie Turnierdirektor McNamee versichert.
Rainer Schüttler, der diesmal als Einziger der insgesamt elf deutschen Spieler (fünf Männer, sechs Frauen) auf der Setzliste steht (31), ist das auch recht. Schüttler sagt, er habe genügend Zeit gehabt, um Urlaub zu machen und um sich ausgiebig vorzubereiten auf die neue Saison. Er fühle sich gut und ausgeruht und sei wieder richtig heiß auf Tennis. Die knappe Niederlage vergangene Woche beim Turnier in Sydney gegen die Nummer vier der Welt, Juan Carlos Ferrero (Spanien), hat ihn in seiner Auffassung bestätigt, weitere Erkenntnisse sind nach dem morgigen Erstrundenspiel gegen Ferreros Landsmann Albert Portas zu erwarten.
Welche der 128 Frauen wohl im nächsten Jahr auf dem Foto über dem Eingang lächelnd zu sehen sein wird? Aus der Sicht der Australier natürlich am liebsten Kim Clijsters an der Seite ihres Verlobten Lleyton Hewitt, und dafür gibt es abseits romantischer Vorstellungen auch ein reales Argument. Vier der letzten fünf Turniere hat die Belgierin gewonnen, und sie war beim Masters in Los Angeles nach langer Zeit die Erste, der es gelang, nacheinander beide Williams-Schwestern zu besiegen. Doch Clijsters mag zwar die Favoritin der Herzen sein, Nummer eins bei den Buchmachern allerdings ist Serena Williams, Siegerin der letzten drei Grand-Slam-Turniere. Vier in Folge hat zuletzt Steffi Graf in den Jahren 1993/94 gewonnen. Und in dieser Liga zählen nur noch die besten Vergleiche. DORIS HENKEL