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Archiv-Artikel

Grünem Sommer folgt Sturz aus den Charts

Sporting Lissabon überzeugt mit kühnen Marketingstrategien – der sportliche Erfolg bleibt diese Saison aber aus

LISSABON taz ■ Es schien fast so, als hätten sich die bekanntesten portugiesischen Schriftsteller zusammengetan, um mit ihren fast gleichzeitig publizierten Neuerscheinungen ein Buch aus der Bestsellerliste zu verbannen, das monatelang einen Spitzenplatz einnahm und mit seinem Inhalt jedwedem Schöngeist den Magen verdarb: Die Spielnotizen von Lazlo Boloni, dem Trainer des portugiesischen Fußballmeisters Sporting Lissabon. Die Mühe hätten sich die Saramargos und Lídia Jorges sparen können: Denn nach der 0:1-Heimniederlage Sportings gegen den FC Porto am Samstagabend ist mit den Chancen auf die Titelverteidigung auch die Euphorie für den Hauptstadtclub zunächst begraben worden.

Einen wahrlich grünen Sommer hatte Portugal erlebt. Die Vereinsfarben des zweitgrößten Lissabonner Fußballvereins verkauften sich so gut wie nie zuvor, nachdem Sporting das Double gewonnen hatte. Dank einer ausgesprochen cleveren Marketingstrategie schafften es nicht nur die Kritzeleien des Sporting-Trainers in die Bestsellerliste. Selbst das Gegröle einiger fanatischer Fans aus der Nordkurve wurde zur absoluten Hitsingle, die wochenlang Platz eins der portugiesischen Charts belegte.

Dem wirtschaftlichen Erfolg folgte jedoch der sportliche Absturz. Zwar belegt Sporting immer noch den vierten Platz in der portugiesischen „Superliga“, doch der ungeschlagene Herbstmeister FC Porto hat nach dem 1:0 gegen Sporting schon vierzehn Punkte Vorsprung auf den amtierenden Meister. Tiefer ins Herz der Sportinguistas (so nennen sich die Sporting-Fans) sticht nur noch die Tatsache, dass der Hauptstadtrivale Benfica besser platziert ist. Darüber hinaus hat der Erzfeind nun auch noch einen Erzfeind zum Trainer. Denn ein Spanier – der ehemalige Nationaltrainer Antonio Camacho – hat den Traditionsclub zu Portos ernsthaftestem Verfolger gemacht und überrascht mit einer gewieften Transferpolitik, die etwa den in Barcelona unglücklichen Stürmerstar Geovanni leihweise nach Benfica brachte.

Die Krise bei Sporting ist dagegen hausgemacht. Das Offensivduo Jardel/João Pinto, das in der vergangenen Saison gemeinsam über fünfzig Tore schoss, legte sich selbst lahm. Pinto war nach seinem Bruststoß gegen einen Schiedsrichter in südkoreanischen Gefilden bis Mitte Oktober gesperrt und scheint zwischenzeitlich das Dribbeln verlernt zu haben.

Dafür verlegte der brasilianische Stürmer Jardel seine Eheprobleme in die portugiesischen Klatschblätter und war psychisch so geschwächt, dass er zu Saisonbeginn den Trainingsplatz gegen eine brasilianische Hängematte eintauschte. Fast schon verschollen, kehrte Jardel von hoffnungsvollen Sporting-Fans umjubelt nach Lissabon zurück, wo er seitdem nur einen Elfmeter und einen Abstauber verwandelte.

Schlimmer sähe es in den Seelen der „Sportinguistas“ aus, wenn die hervorragende vereinseigene Sportschule nicht wieder ein neues Talent aus dem Hut gezaubert hätte. Der Junge ist 17 Jahre alt, heißt Ronaldo und auch sonst erinnert so einiges an die ersten Jahre des Namensvetters aus Madrid. Ronaldo besticht mit seinem Ballgefühl, mit kraftvollem Antritt und überlegener Schusstechnik. Kein Wunder also, dass europäische Spitzenclubs schon mal ihre Peilsender an den kräftigen Oberschenkeln des Jungen aus Madeira befestigt haben. Den stärksten Signalausschlag verbucht man zurzeit in Manchester. Denn ein Kooperationsvertrag zwischen ManU und Sporting soll den Engländern Vorkaufsrechte an Christian Ronaldo und seinem Stürmerkollegen Ricardo Quaresma gesichert haben.

So bleibt den „Sportinguistas“ wohl wieder nur der Blick in die Röhre, wo sie schon die ehemaligen Sporting-Spieler Figo (Real Madrid) und Hugo Viana (Newcastle) in den TV-Übertragungen der Champions League bewundern können, nicht aber ihren eigenen Verein, der aus den portugiesischen Niederungen nicht aufsteigen wird, solange er auf brasilianische Bummler setzt und nicht auf die eigene Jugend.

TILO WAGNER