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Archiv-Artikel

„Wir drucken nicht deutsch“

Die Anzeigenflaute in der Branche plagt auch fremdsprachige Zeitungen. Doch mitten in der Krise wagen junge Berliner eine Neugründung: Mit „Clave Latina“ gibt es nun ein Latino-Stadtmagazin

von CHRISTIANE GROSS

Es war irgendwann Anfang 2002, als sich Ruben Mancera und Hebert Asprilla unterhielten und auf Paris zu sprechen kamen. Drei oder vier Latino-Magazine gebe es dort, erzählte einer, nur auf Spanisch. Mit Veranstaltungstipps, Artikeln und so – das scheine gut zu funktionieren. Dann fiel der entscheidende Satz: „Warum machen wir das nicht für Berlin?“ Schnell waren die beiden Kolumbianer für ihre Idee Feuer und Flamme. Ein kostenloses Stadtmagazin sollte es sein, für Hamburg, Frankfurt und Berlin, die Stadt mit der größten „Latinodichte“ in Deutschland. Im Postkartenformat wie der Flyer, bunt und richtig professionell.

„Und dann sind wir ins kalte Wasser gesprungen“, erzählt Lasse Künzer. Der Student der Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation verschob sein Diplom noch um ein Semester und half den beiden Freunden bei der Gründung. Seine Lebensgefährtin Cécile Busche akquirierte Anzeigen, Grafiker Hebert Asprilla entwarf das Layout, Eventmanager und Musiker Ruben Mancera kümmerte sich um den Vertrieb, die kolumbianische Journalistin Diana Sepulveda übernahm die Redaktionsleitung. Im Oktober war es dann so weit: Das erste Heft, gedruckt in einer Auflage von 20.000, lag in drei Städten in Bars und Restaurants aus. Clave Latina war geboren.

„Schlüssel zur lateinamerikanischen Lebenswelt“ will das Heft sein. Deshalb der Name: „Clave“ ist ein Begriff aus der Musik und bedeutet so viel wie Notenschlüssel, Grundrhythmus. Umgangssprachlich steht es zudem für alles, was wissenswert und unverzichtbar ist. Unverzichtbar soll Clave Latina nach dem Willen seiner Schöpfer für alle Salsatänzer, Latinos und Lateinamerika-Fans werden. So enthält der Programmteil für Berlin Termine vom Salsa-Abend im Soda-Club, von spanischen Filmen in der Originalfassung bis zur Tagung der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Lateinamerika-Forschung. Der redaktionelle Teil ist thematisch bunt gemischt, der Schwerpunkt des zweiten Hefts liegt auf Mexiko. Um das lateinamerikanische Land geht es im Reisetipp, andere Artikel beschäftigen sich mit mexikanischem Theater und Migranten aus Mexiko. Der Inhalt einiger Artikel bleibt dem deutschen Leser allerdings verborgen – es sei denn, er spricht Spanisch. Nur einige Texte sind auch auf Deutsch abgedruckt. Dabei soll das Heft nicht nur Latinos ansprechen – 8.000 Lateinamerikaner sowie mehr als 8.000 Spanier und Portugiesen leben offiziell allein in Berlin – sondern auch Deutsche mit Bezug zu diesem Kulturkreis.

Konzeptionelle Unklarheiten wie diese hat der spontane Start mit sich gebracht. Anfang 2003 gehen die Macher deshalb in Klausur, das nächste Heft wird erst im März erscheinen. Dann vielleicht nur noch in Berlin, dafür komplett zweisprachig. Von Anfang an in drei Städten zu erscheinen gestaltet sich schwieriger als erwartet. „Das ist ein fetter Batzen Arbeit für uns paar Leute“, hat Lasse Künzer gemerkt. Unterkriegen lassen wollen sich die fünf aber nicht. Darum wird jetzt noch mal alles gründlich durchdacht. Das Projekt soll auf sicheren Füßen stehen – auch finanziell. „Damit es uns nicht geht wie anderen, die eine Sache ambitioniert starten und dann nach drei Monaten aufgeben.“

Diesen kritischen Zeitraum hat das Djeli – Afro Magazin Berlin schon überstanden. Elf Hefte brachte Moctar Kamara seit der ersten Ausgabe zum Karneval der Kulturen 2001 heraus. Trotz einiger Probleme – zwischenzeitlich erschien Djeli aus Geldmangel nicht wie gewöhnlich bunt im A5-Format, sondern als Heft aus zusammengetackerten Schwarzweißkopien – wolle man auch im nächsten Jahr auf jeden Fall weitermachen, versichert Abdoulaye Condé, Mitglied im Djeli e. V. In dem Heft für die afrikanische Szene spielt Afromusik eine große Rolle, Bands und CDs werden rezensiert, Bücher empfohlen. Um den deutschen Lesern das Leben in Afrika näher zu bringen, werden Kochrezepte abgedruckt und einzelne afrikanische Länder vorgestellt.

Der Ex-Berliner, die einzige englischsprachige Zeitung für Berlin, kämpft zurzeit ums Überleben. Bisher wurden alle zwei Wochen 30.000 Exemplare kostenlos verteilt. Doch Anzeigen sind momentan Mangelware. Deshalb soll der Ex-Berliner künftig nur noch einmal pro Monat erscheinen, dafür statt 32 Seiten 50 umfassen und 2 Euro kosten. Auch ein neues Innenleben planen die drei Herausgeber: mehr redaktionelle Artikel, mehr Illustrationen, mehr Cartoons. Literarische Texte von Berliner Autoren sollen abgedruckt werden. Finanzielle Probleme waren nicht der einzige Grund für diese Veränderungen. „Die Deutschen scheinen kostenlose Dinge nicht ernst zu nehmen“, musste Ioana Veleanu feststellen. Gemeinsam mit zwei Freunden hatte die Rumänin, die in Frankreich aufgewachsen ist und lange in den USA gelebt hat, die Zeitung im Juni 2002 gegründet.

Die drei größten Gruppen von Berlinern, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, sind Türken, Polen und Russen. Für sie alle gibt es Zeitungen in ihrer jeweiligen Sprache speziell für Berlin. Die türkische Zeitung Hürriyet („Freiheit“) widmet Berlin seit November wieder jeden Mittwoch sechs bis acht Seiten. Sie bieten Platz für Fotos von türkischen Hochzeiten und die übliche Lokalberichterstattung – Artikel über Vereine, gesellschaftliche Events, Lokalpolitik, Sport. Die oft als nationalistisch, konservativ und integrationsfeindlich kritisierte Zeitung erschien in Berlin schon über lange Jahre mit einem eigenen Lokalteil, hatte diesen aber Anfang 2000 beim Wechsel des Besitzers eingestellt. Nun wolle die Hürriyet wieder als „Stimme des Volkes auch im Lokaljournalismus zeigen, wie mächtig sie ist“, verkündete die Zeitung in ihrer ersten Berlinbeilage im Oktober 2002.

Die Wochenzeitung Russkij Berlin wurde 1996 von dem lettischen Journalisten Boris Feldmann gegründet. Inzwischen werden in Berlin jede Woche 16.000 Exemplare verkauft, und die Zeitung erscheint deutschlandweit als Russkaja Germania. Auf ein bis zwei Seiten veröffentlicht die Zeitung Veranstaltungstipps. Man suche nach Terminen, die speziell für Russen interessant sein könnten, erklärt Ilona Walle, Projektkoordinatorin bei Russkij Berlin. Dazu gehören anscheinend Lesungen von Wladimir Kaminer und die Aufführung einer Oper von Schostakowitsch.

1997 zog Alexandra Poscewicz mit dem Kurier Polonica nach, einer Zeitschrift für Polen in Deutschland. „Russen haben mehr Mut als Polen. Polen haben viele Ideen und ein gutes Herz – aber sie sind zu ruhig und zurückhaltend“, findet die Herausgeberin. Nun gibt ihr Kurier Polonica den Polen in Deutschland eine Stimme. Die 40-seitige Zeitschrift erscheint einmal im Monat. Sie berichtet aus Politik und Wirtschaft, gibt beispielsweise Tipps zum neuen Recht nach der EU-Osterweiterung. Auf vier Seiten geht es speziell um Berlin. Auch als Veranstalter tritt der Kurier Polonica in Erscheinung: Am 1. Februar werden in der Universal Hall „Mister und Miss Polonia in Deutschland“ gekürt.