: Mensch, was für eine Bank
Die Evangelische Darlehens-Genossenschaft aus Kiel wehrt sich gegen Behauptungen, sie habe mit den Lehman Brothers gedealt. Allerdings sagt die Oldenburgische Landeskirche, sie habe 4,3 Millionen Euro verzockt – beraten von der EDG
Das Zinsverbot revidiert hat zunächst vor allem Thomas von Aquin. Strategisch raffiniert erklärt seine Summa „auf Zins ausleihen ist Sünde“ – weil Zinsen der Preis der Zeit sind, die Gott allein gehört. Fährt allerdings der Kreditnehmer materiellen Gewinn ein, sollte er den Darlehensgeber daran schon beteiligen. Stark enttabuisiert hat, gegen Luther, Jean Calvin die Zinsen: Dass der die Reformation dadurch „welt- und geschichtsfähig gemacht“ hat (Karl Barth), ist kaum umstritten. Als unfromm gilt es unter Calvinisten nur, für eine finanzielle Nothilfe Zinsen zu verlangen. BES
von BENNO SCHIRRMEISTER
Ist sie oder ist sie nicht? Dass die Kieler EDG-Bank in die Lehman-Pleite involviert zu sein scheint, wäre kaum eine Nachricht, würde es sich nicht um eine Nischenbank handeln. „Wir betreten ganz offenkundig ein Spannungsfeld“, so hat es einmal der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) gesagt, „wenn wir uns auf das Verhältnis zwischen dem christlichen Menschenbild und der Wirtschaft einlassen“. Und siehe, damit hat Bischof Wolfgang Huber auch gleich die Nische benannt, in der sich die Evangelische Darlehens-Genossenschaft (EDG) bewegt.
„Mensch, Deine Bank“, so heißt ihr griffiger wie ausbaufähiger Slogan, und „als Kirchenbank“, so bestimmt sie auf ihrer Internetseite das eigene Leitbild, „agiert die EDG sozial und ethisch orientiert“. Das ist im Finanzgeschäft ein hehrer Anspruch. In Deutschland erheben ihn auf protestantischer wie auf katholischer Seite je vier Kreditinstitute: Sie sichern sich damit Großkunden aus dem christlich-diakonischen Bereich – und viele Pfarrer vertrauen bei der Verwaltung ihrer Gehaltskonten auf konfessionelle Geldhäuser. Auf evangelischer Seite ist die EDG mit rund 200 Mitarbeitern neben der Dortmunder KD-Bank das größte.
„Über unsere Kunden dürfen wir nichts sagen“, sagt EDG-Sprecherin Izabela Orth. Das war zu erwarten, schließlich gilt das Bankgeheimnis. Aber die Kunden dürfen natürlich verraten, wo sie ihr Geld anlegen. Die Oldenburgische Landeskirche zählt die EDG zu ihren Hausbanken. Und ein Kirchenmitarbeiter hat – beraten von den Kieler Experten und durchgeführt mit EDG-Know-how – 4,3 Millionen Euro angelegt: bei Lehman Brothers. So hatte die Nordwest-Zeitung unter Berufung auf Oberkirchenrat Wolfgang Jürgens berichtet. Der nahm trotz Nachfrage nichts zurück.
Ein Dementi kommt dagegen aus Kiel: „Wir hatten im Jahr 2008 keine Geschäftsbeziehungen zu Lehman“, beharrt EDG-Sprecherin Orth. „Es gab keinerlei Transaktionen.“ Also verkündet die Oldenburgische Landeskirche Unwahrheiten? Darauf kann die zunehmend verzweifelt wirkende Sprecherin wieder nicht antworten – das Bankgeheimnis. „Die EDG hat durch die Lehman-Insolvenz keinerlei Geld verloren“, sagt sie aber, „Null komma null Euro.“
Der Ruf ist das Kapital – das gilt bei Kirchenbanken noch mehr als bei rein weltlichen. Denn Geld und Christentum, das ist ein sensibles Thema – sicher auch, weil Freidenker-Organisationen für populistische Vorstöße gerne die Kirchensteuern kritisieren. Vor allem aber, weil die Zahl der antikapitalistischen Bibelsprüche Legion sind: „Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden“, steht da, es wird vor dem Mammonkult gewarnt und überhaupt passt ein Reicher ebenso wenig wie ein Kamel durchs Nadelöhr. Und einflussreiche Denker wie Thomas von Aquin erklärten es schlicht für Unrecht, Zins zu nehmen.
Richtig, schon Reformator Jean Calvin hat die mittelalterliche Zinsverteufelung aufgeweicht. Und die ihm folgende theologische Lehre hat sich mehr und mehr den ökonomischen Gegebenheiten angepasst. Trotzdem ist selbst dieser niedrigschwellige Kapitalismus immer eine Streitfrage geblieben. „In dem Maße, in dem die Vor- und Nachteile der Globalisierung deutlicher hervortreten, sucht eine Anzahl theologischer Ethiker Aspekte der älteren Tradition wiederzugewinnen“, resümiert die 2007 vollendete Theologische Realenzyklopädie die gegenwärtige Diskussion – und zwar als „Möglichkeit zur Schaffung eines gerechteren Systems wirtschaftlicher Beziehungen“.
Also suchen die Kirchen nach „Modellen“, um noch einmal den EKD-Vorsitzenden Huber zu zitieren, „wie sich Nächstenliebe und erfolgreiches wirtschaftliches Handeln miteinander verbinden lassen“. Im Alltag heißt das meistens: Die Kirchen legen kein Geld in Gentechnik, Porno- oder Rüstungsindustrie oder Atomkraft an.
So handhabt es auch die EDG: „Wir haben einen Negativkatalog“, sagt Izabela Orth, „und zusätzlich Positivkriterien.“ Bei Letzteren spielt beispielsweise der erwartbare ökologische Nutzen eine Rolle. Geschäfte mit Investmentbanken stünden „dazu nicht per se im Widerspruch“, das sagt sie auch. Womit sie nicht ganz falsch liegt. Immerhin waren die Lehman Bros. der politisch-korrekteste der großen Finanzintermediäre: In ihrem Geschäftsbericht 2007 finden sich die Schlagworte Sustainability – also Nachhaltigkeit – und Philanthropy. Aber welche Börsengänge unterstützt wurden, bleibt – siehe oben – Bankgeheimnis.
Die Privatkunden der EDG scheinen zufrieden: Erfahrungsberichte rühmen das kostenlose Online-Girokonto und die kurze Bearbeitungsdauer bei Gutschriften. Bis auf die Oldenburger bringen die norddeutschen Landeskirchen ihr Geld aber anderweitig unter: Nicht einmal Nordelbien hat sich für das konfessionelle Kreditinstitut im eigenen Sprengel entschieden.