: berliner szenen Zwangspfand
Freitag’s Schnap’s
Freund Winter hat alles fest im Griff. Nur wenn man muss, verlässt man das Haus. Draußen sind alle so eingemummelt, dass man keinen mehr erkennt. Die Menschen sehen aus wie Kaffeekannen mit übergezogenen Kaffeewärmern. Die Kreuzberger Seiten- und Querstraßen erinnern an Moskau, wahrscheinlich weil die Kälte auch das Licht irgendwie verändert.
Vor seinem Laden steht der Gebrauchsheimwerkerbedarfshändler und grillt einen Fisch. Keine Ahnung, ob er aus der Türkei oder anderswo herkommt. Er verkaufte mir jedenfalls eine Stichsäge zum Einkaufspreis, weil Kreuzberger einander helfen. Daneben stand ein anderer Mitkreuzberger. Als er hörte, dass ich überwiegend mit Holz heize, sagte er, er hätte noch Eierkohlen im Keller; die könne ich mir ja holen. So lernt man sich kennen im Winter und geht weiter: Bei Kaiser’s, wo die Kohlen billiger sind als beim Kohlehändler, gibt’s keine Briketts mehr.
Bei plus, wo es ein „Purzelpreisfeuerwerk“ gibt und Bier nur in Dosen, spricht man von der „Zwangspfandverpackungsordnung“. Auf einem Schild steht „Hier Rückgabe von Zwangspfandverpackungen“ und an der Kasse: „Zwangspfandmünzen nicht vergessen“. Die Zwangspfandmünzen erinnern an das DDR-Geld und das Wort lässt einen an die Zwangsverordnungen der späten Weimarer Republik denken. Jedenfalls ist „Zwangspfandverpackungsverordnung“ ein schönes Demagogikum, das viel besser klingt als „Teuro“, der ja im letzten Jahr das Rennen um das Wort des Jahres gewann. Auf dem Nachhauseweg lärmte es in der Eckkneipe, wohl weil „Dienstag’s und Donnerstag’s Baci und Futschitag“ ist. „Freitag’s und Samstag’s“ dagegen ist „Schnap’s-Tag“.
DETLEF KUHLBRODT