piwik no script img

Archiv-Artikel

village voice Nichts für Weicheier: Angel und Zeitkratzer

Todeskämpfe auf dem Gerätefriedhof und Stille, die sich als Teebeutel tarnt

Na also, geht doch: Noise, also Krach, von dem Dirk Dresselhaus aka Schneider TM in Interviews immer so sehr schwärmt, ist die Grundkonstante seines Projekts Angel, das er zusammen mit dem finnischen Elektronik-Schwerenöter von Pan Sonic, Ilpo Väisänen, betreibt. Nachdem man bei Schneider TMs letzter Platte „Zoomer“, dieser müden Elektronikpop-Veranstaltung, vergeblich nach den geliebten Störgeräuschen gesucht hatte, gibt es bei Angel nun nichts anderes zu finden. Dresselhaus schruppt das Gitarrenbrett, jagt das Ergebnis durch Millionen Effektgeräte und lässt das erzeugte Schaben, Brummeln und Feedbackröcheln zärtlich von seinem beflügelten Kollegen umtänzeln, der CD-Player und anderen Krempel manipuliert hat.

Auf Beats, Clicks-&-Cuts-Spielereien oder andere Zugeständnisse an Weicheier wurde komplett verzichtet. Hier regiert der ungehobelte Unwohlklang, und auch nur auf Rudimente von sowohl Schneider TMs Popverständnis als auch von Pan Sonics minimalem Techno-Funk wurde komplett verzichtet. Angel soll schließlich für beide Musiker eine komplett eigene Identität bilden. Am Ende kommt man sich bei dieser Musik vor wie auf einem Gerätefriedhof, auf dem Kühlschränke, Tischstaubsauger und überbeanspruchte Verstärker gerade ihre Todeskämpfe ausfechten und gegeneinander anhecheln. Kurz: Für die, die so eine Art von Nicht-Musik aushalten, ist das Debüt von Angel äußerst zu empfehlen.

Ebenfalls in produktiven Kollaborationen geübt, ist das Berliner Neue Musik/Noise-Orchester Zeitkratzer, das bereits mit Helden der unkonventionellen Musik wie der Impro-Legende Elliot Sharp oder dem japanischen Terrornoise-Fritzen Masami Akita zusammengearbeitet hat. Großes Interesse erregte auch ihre jüngst gemeinsam mit Lou Reed aufgeführte Interpretation von Reeds äußerst extremer Krachorgien-Platte „Metal Machine Music.“ Die neueste Zeitkratzer-CD, die ganz in guter alter Industrial- Tradition auf 1.000 Stück limitiert wurde und in obskurer Teebeutel-Verpackung daherkommt, besteht aus zwei zusammen mit dem Audio-Künstler John Duncan eingespielten Stücken. John Duncan ist ein in Italien lebender Amerikaner, Komponist, Audio-Installationskünstler und immer für eine Zertrümmerung von konventionellen Musikbegriffen zu haben.

Viel passiert in den beiden Stücken, von denen das erste 27 Minuten lang ist, nicht. Und doch sind beide Kompositionen äußerst spannungsreich. Die Stille, die vor allem das erste Stück dominiert, klingt in ihrer schier endlosen Ausdehnung wie der Nachhall der spärlich gesetzten dynamischen Höhepunkte, das wenige Laut und das viele Leise werden zur Einheit. Das Ensemble erreicht so ganz im Sinne der Minimal Music eine Art transzendentaler Dichte. Bläser, Streicher, Elektronik und die übrigen Instrumente geraten in einen Taumel aus Schabgeräuschen und angespannter Stille. Die dabei entstandenen Zentrifugalkräfte wirbeln immer wieder Staub auf (es wird laut), werden aber schnell von der Ensemble-Leitung wieder unter Kontrolle gebracht. In ihrem Bestreben, eine Musik zu kreieren, die nirgends zu Hause ist und nirgendwo ankommen will, ist das Zeitkratzer-Ensemble jedenfalls erneut einen Schritt vorangekommen.

ANDREAS HARTMANN

Angel von Schneider TM und Ilpo Väisänen (Bip-Hop), Zeitkratzer/John Duncan (Podewil)