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Archiv-Artikel

peter unfried über Charts Es geht nicht ums Auto, es geht um alles

Das neue Auto (Teil 1): Ein Familienmann will einen Minivan kaufen. Total unökologisch. Darf er das?

Alles begann vor einer kalifornischen Garage. John wollte gerade in ein Auto steigen, als ich ihn mit der Kelle stoppte.

„Warum fährst du eigentlich so ein großes Auto? Das ist doch total unökologisch“, schnarrte ich. Keine Ahnung, warum ich das aussprach, was ich dachte.

Ich bin sonst nicht so.

John hat einen SUV, ein Sports Utility Vehicle. Das sind diese monströsen Autos, mit denen inzwischen halb Amerika rumfährt. Mit fünf von denen hätte man Afghanistan besiegen können. Jedenfalls bei gesicherter Benzinversorgung. John nannte die üblichen Argumente. Also die der Werbung:

1. Die Sicherheit der Kinder (steht natürlich über allem).

2. Der Platz, um alles Mögliche einzuladen und rumzufahren.

3. Die Möglichkeit, die Straße zu verlassen und durch die Wüsten und Wälder zu brummen.

Na ja, John hat zwar mehrere Frauen, aber im Wesentlichen nur ein klitzekleines Kind. Und wenn er was transportieren muss, nimmt er eh den Pick-up.

„Natürlich fahre ich auch nie in die Wüste“, sagte er langsam und gutmütig, er sprach ja offensichtlich mit einem Idioten. „Natürlich ist der Karren zu groß und braucht viel Sprit. Natürlich weiß ich, dass ich von der Werbung verarscht werde. Natürlich bin ich blöd.“ Dann stieg er ein, drückte das Gaspedal durch und sagte: „Aber, weißt du was, Peter? Das ist mir doch scheißegal.“

Ich sah in sein grinsendes Gesicht. Sah, wie er da glücklich allein in seinem leeren Auto davonfuhr. Ich dachte an Candice, die manchmal fünf glückliche Kinder in ihrem Monster zum Strand runterfuhr.

Und daran, wie wir in unseren VW Polo Diesel die Kinder hinten so unmenschlich reinpressten, dass sie regelmäßig vor Schmerzen aufjaulten. Man musste ja direkt froh sein, dass noch niemand dem Jugendamt einen Wink gegeben hatte.

Und da entschied ich: Es ist an der Zeit. Ich habe Verantwortung. Ich will, ja ich muss jetzt auch ein stupid white man sein.

*

Monate später, Berlin, Deutschland. Telefonat mit einem wichtigen Verwandten ersten Grades/selbe Generation.

Was Neues?

Ach, nee, nix natürlich. Ach so: Wir kaufen einen Minivan.

Schweigen in der Leitung. Ich wusste, dass ich ihm mit dem Platz-, Kinder- und Verantwortungsquark nicht zu kommen brauchte. Ich sagte ihm, ich hätte einen Schlag auf den Kopf gekriegt.

Dann legten wir auf.

Na ja, der Junge ist überzeugter Nichtautobesitzer aus ökologischen schen Gründen. Überzeugter Bahnfahrer (jedenfalls bis zur Mehdorn-Preisreform. Jetzt nur noch Bahnfahrer). Fährt mit der Fähre nach Finnland, so Zeug.

Zwei Tage später kam jedenfalls eine Broschüre vom Verkehrsclub Deutschland (VCD). Mit Ranking der einigermaßen umweltverträglichen Autos. Minivans waren praktisch keine dabei. Die erwartet desaströsen Zahlen in puncto Umweltbelastung, CO2-Ausstoß und Spritverbrauch (Benziner).

Ich rief zurück.

„Okay, was soll ich tun?“

Zunächst taktisches Geplänkel: Er verstehe ja, dass man in den USA seltsam werde. Aber. Dann wusch er mir mal den Kopf, wie das eigentlich nur der große dem kleinen Bruder sollte – und keinesfalls umgekehrt. Am Ende sagte er mir, was ich zu tun hatte. Wenn ich tatsächlich glaubte, nicht ganz ohne Auto auskommen zu können.

Ich muss ein 3-Liter-Auto kaufen. Und zwar den Audi A2.

Je länger man sich mit der Sache beschäftigt, desto klarer wird einem, dass es nicht um einen popligen Autokauf geht .

Es geht um ALLES.

Es handelt sich um eine wegweisende Lebensentscheidung. Als Schüler, Studierender und Berufsanfänger trifft man Kaufentscheidungen bei Autos hauptsächlich auf einer Grundlage. So wie bei den meisten anderen Kaufentscheidungen eben auch. Die Grundlage ist: möglichst billig davonkommen. Nehme ich nun als offiziellen Eintritt in die mittlere Generation einen Minivan, noch dazu einen neuen, was heißt das dann?

Zum einen: Das ist ein Doofi, der 20.000 Euro für ein Auto ausgibt. (Hm.) Totale Geldvernichtung. Zum Zweiten: Der Minivan als Ausdruck des endgültigen Rückzugs in das Private, das Ja vor aller Welt zur gewählten Lebensform Familie mit Kindern. (Hmhm.) Zum Dritten: Politisch kann er gedeutet werden als Statement der Gleichgültigkeit: Umwelt? Ach, der Amerikaner macht doch bei Kioto sowieso nicht mit. Außerdem haben wir andere Sorgen. (Hm.)

Ich grübelte: Will ich so ein Statement abgeben? Und wenn nicht: Passt der Kinderwagen in den Audi A2?

Nächste Folge: Kann ein Minivan mit Erdgas-Tank die verfahrene Situation retten? Folgenschwere Testfahrt im Dreiliter-Audi-A2. Neue Forderungen aus der Familie: Rapsöl!

Fragen zu Minivans? kolumne@taz.de