: Regression vermeiden
Durch Entscheidung Identität wahren: „Sartre und die Kaffeetasse“ heißt die zweite Veranstaltung der PhilosophInnengruppe „Aussen“ in der Reihe „Text und Ding“ auf Kampnagel
von KATRIN JÄGER
Der französische Philosoph Jean Paul Sartre schrieb häufig in Cafés. Dabei beobachtete er die Kellner, wie sie geschickt an den Tischen der Gäste entlangglitten. So entstand die Kaffeehausszene in Sartres Werk Das Sein und das Nichts. Der Kellner, so Sartres These, spielt die Kellnerrolle, geht jedoch nicht voll im Kellner-Sein auf. Ganz im Gegensatz zur Kaffeetasse. Wie alle Dinge sei sie das, was sie sei, sagt der Philosoph.
Diese Distanz macht das menschliche Bewusstsein aus. Und das verleiht dem Menschen Freiheit. Oder bürdet sie ihm auf, denn Freiheit ist bei Sartre nicht nur im positiven Sinne zu verstehen. Die Freiheit, sich immer wieder neu entscheiden zu können, bringt nach seiner Definition die volle Verantwortung für den Entschluss mit sich. Selbstständig zu denken, eine Haltung einzunehmen, beispielsweise zum Krieg, zum Heiraten, zu Berufswahl und -wechsel.
Wer hinsichtlich der Lebensfragen eine starre Identität entwickelt, zum Beispiel sein ganzes Leben lang Kellner bleibt, wird dinghaft, ähnelt in gewisser Hinsicht der Kaffeetasse, die immer bleibt, was sie ist. Diese Dinghaftigkeit macht unfrei. So interpretiert der Hamburger Philosoph Eike Bohlken den sartreschen Terminus der Dinghaftigkeit.
Sein Kollege Harald Lemke ist da anderer Ansicht. „Heute aktuell ist doch die Patchwork-Identität. Zwei, drei Berufe zu haben. Lebenslanges Lernen. Das heißt nicht, dass alle frei sind. Auch diese ständige Veränderung kann unfrei machen, nämlich wenn man sich dem Zwang unterwirft, sich andauernd zu verändern. Es kann ja sein, dass man sich immer wieder neu für seinen alten Beruf entscheidet. Das ist dann Freiheit.“ Bohlken und Lemke sind sich uneinig. Gut so, finden sie. Denn anhand der kontroversen Sichtweisen kann das philosophische Gespräch erst entstehen. Weniger über Sartre, als vielmehr über Identität und Freiheit und den aktuellen Bezug zum eigenen Leben.
Darum geht es Bohlken, Lemke und den anderen Mitgliedern der PhilosophInnengruppe „Aussen“ auch in ihrer heutigen Veranstaltung. Wie immer in der Reihe „Text und Ding“ auf Kampnagel, bietet „Aussen“ performative Philosophie. „Philosophie als Performance zu präsentieren heißt, ihre Fragestellungen durchzuspielen“, so „Aussen“-Teamer Bernhard Schleiser. „Das ist wie mit der Musik: Man kann theoretisch über sie sprechen, man kann sie hören, und man kann sie spielen. Wir machen dies alles mit der Philosophie. Auch das Publikum ist gefragt, mitzuspielen.“
„Sartre und die Kaffeetasse“ besteht aus vier Teilen. Zuerst stellt Bohlken szenisch drei berufliche Identitätsentwürfe dar: Musiker, Wissenschaftler und – Kellner. „Bis auf das Kellnern habe ich das habe ich das alles selbst gemacht. Es hätten aber auch andere Berufsbilder sein können“, so Bohlken. Inhaltlich verrät der Mitgründer der Hamburger Band Blumfeld nur, dass er „kurz Bass spielen“ wird.
In „Tischgesprächen“ fordern die PhilosophInnen das Publikum dann zum Austausch mit ihren Nachbarn auf. Anhand von „Kaffeesätzen. Das sind Papierschnipsel mit Aphorismen der sartreschen Philosophie“, erläutert Bohlken. Erst, nachdem das Publikum für die Problematik von Freiheit und Identität erwärmt und einen eigenen Standpunkt entwickelt hat, folgt eine kurze Expertise. Darin wird Bohlken die sartresche Auffassung zum Thema darlegen. „Das wird kein akademischer Vortrag“, beruhigt er. Vielmehr Anregung zum Weiterdenken, zum Kritisieren, zum Lamentieren oder zum Plaudern. „Wir wollen das Publikum dazu bringen, Probleme zu bereden“, erklärt Schleisinger. „Ich würde mir wünschen, dass es in dieser Veranstaltung um konkrete Politik geht.“
Anlässe gibt es genügend. Ähnlich wie Sartre im spanischen Bürgerkrieg von sich und seinen Mitmenschen die Entscheidung verlangte, in die Resistance zu gehen oder nicht, könnte es diesmal um die Haltung zum drohenden Irak-Krieg gehen. Oder auch darum, warum die Kennenlernfrage auf Partys so oft lautet: Was machst du beruflich?
Sartre und die Kaffeetasse: Donnerstag, 16. Januar, 20 Uhr, Kampnagel